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Die Daemonenseherin

Die Daemonenseherin

Titel: Die Daemonenseherin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Melzer
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weiterkommen wollte, musste sie durch diese Tür. Hier zu stehen und sich auszumalen, was alles passieren konnte, würde sie nur verrückt machen. Hinein – suchen – und so schnell wie möglich wieder raus.
    Entschlossen verließ sie die Treppen und ging auf die Wohnung zu. Im Fernsehen zeigten sie immer, wie man Schlösser mit einer Kreditkarte knacken konnte, aber abgesehen davon, dass sie nicht einmal eine besaß, hätte sie ohnehin nicht gewusst, wie es funktionierte. Alessa blieb auf dem Fußabtreter stehen, richtete ihren Blick auf das Schloss, von dem ein aufgeklebtes Siegel entfernt worden war, und gab ihm mit ihrem Geist einen leichten Ruck. Als es klickte, drückte sie die Tür auf. Alles war so schnell gegangen, dass der Dämon nicht einmal mitbekam, wie sie für einen Moment ihre Schutzschilde gelockert hatte – vielleicht war er auch einfach nur zu langsam gewesen, um zu reagieren.
    Erleichtert, dass sie zumindest diesen Kampf nicht aufs Neue ausfechten musste, schlüpfte sie hinein und schloss die Tür leise hinter sich. Sie hätte es vorgezogen, erst einmal von der Schwelle aus einen Blick in die Wohnung zu werfen, doch sie fürchtete, dass einer der Nachbarn auf sie aufmerksam werden könnte.
    Ein gedämpftes Wummern drang an ihr Ohr. Irgendwo im Haus hörte jemand Musik. Der Alltag ging auch nach der Ermordung des Professors weiter. Zweifelsohne hatte Sparks nicht die Gesellschaft dieser Menschen gesucht, und vermutlich wusste kaum einer mehr über ihn als seinen Namen – wenn überhaupt. Trotzdem war er einer aus ihrer Mitte gewesen, jemand, der ihnen am Briefkasten, im Hausflur oder bei den Mülltonnen begegnet war, den man gegrüßt und mit dem man sich vielleicht sogar kurz unterhalten hatte.
    Menschen vergaßen schnell, besonders wenn es sich um unliebsame Dinge handelte.
    Alessa blendete das Wummern aus, das sie plötzlich an den Herzschlag erinnerte, den es in dieser Wohnung nicht mehr gab, und ließ ihren Blick nach rechts wandern. Ihre Augen fanden die weißen Kreideumrisse eines Körpers an der Stelle, an der der Leichnam des Professors gelegen hatte. Sein Blut war in das Parkett gesickert, hatte sich zwischen den Dielen ausgebreitet und zog sich in den Ritzen dahin wie die Linien einer gruseligen Landkarte. Alessa riss ihren Blick von den rostig roten Flecken und Linien los, nur um Spritzer derselben Schattierung an der Wand dahinter zu finden.
    Entsetzt von dem Anblick und überrollt von der Erinnerung daran, den Professor zu Boden fallen zu sehen, wich sie zurück, bis sie mit dem Rücken gegen die Wohnungstür stieß. Sie schloss die Augen und öffnete sie sofort wieder, als das Bild des Maskierten in ihrer Erinnerung aufflackerte, wie er über dem Professor gestanden und noch einmal auf ihn gefeuert hatte.
    Umsehen und dann schnell raus hier!
    Da sie nicht annahm, dass sie in der Küche finden würde, wonach sie suchte, wandte sie sich zuerst dem Wohnzimmer zu. Mit einem großen Schritt stieg sie über die Stelle hinweg, an der der Professor gelegen hatte, und erstarrte nur einen Augenblick später, als sie den Mann im Wohnzimmer sah. Ein schlaksiger rotblonder Kerl mit markanten Zügen und einer Nase, die aussah, als wäre sie nicht nur einmal gebrochen gewesen.
    Dass er sie noch nicht bemerkt hatte, verdankte sie einem Paar Kopfhörer, das in seinen Ohren steckte und dröhnende Bässe in seinen Gehörgang jagte, so laut, dass Alessa sie bis in den Gang hören konnte.
    Das Wummern.
    Sie machte einen Schritt nach hinten, bis sie sicher war, dass er sie dort nicht sehen konnte, wenn er den Blick in ihre Richtung lenkte, und musterte ihn. Ein Zivilpolizist, vermutete sie. Wahrscheinlich jemand von der X-Division, der noch einmal hierher zurückgekehrt war, um sich in Ruhe alles anzusehen. Dann jedoch sah sie die Handschuhe. Den rechten hatte er abgestreift und hielt ihn in seiner noch immer behandschuhten Linken. Gemächlich schritt er den Raum ab, ließ die nackte Hand über Wände und Bücherregale streifen, hielt hin und wieder kurz inne, als wolle er sich die Gefühle und Bilder näher betrachten, die ihm gerade durch den Kopf geschossen waren. Dann setzte er die Reise seiner Sinne fort, ging auf die andere Seite und ließ seine Hand über die Couch und den Schreibtisch wandern. Seine Finger streiften über Berge von Papier, tastend und suchend, ohne ihre Wanderschaft zu unterbrechen.
    Er wandte sich um und betrachtete den einzigen Ort, den er noch nicht untersucht hatte: den

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