Die Daemonenseherin
verletzen!
Das wollte sie auch jetzt nicht.
Dreh dich um und lauf!
Doch sie konnte sich nicht bewegen, starrte nur auf das tosende Inferno, das sie ausgelöst hatte. Der Riese packte sie bei den Armen und riss ihre Aufmerksamkeit von dem wirbelnden Orkan, in den sich der Flur verwandelt hatte. Ein Briefbeschwerer traf ihn an der Stirn und hinterließ eine blutende Wunde, doch obwohl noch immer Gegenstände durch den Flur rasten, ihn Bücher, Schirme und Küchengeschirr trafen, gab er Alessa nicht frei.
Seine Lippen bewegten sich und nur langsam begriff sie, dass er sie anschrie. »Hör auf!«
Alessas Kräfte schwanden, doch selbst wenn sie es gewollt hätte, wäre sie nicht imstande gewesen, es zu beenden. Den einzigen Funken Konzentration, der ihr geblieben war, musste sie auf die Mauer gerichtet lassen, die den Dämon davon abhielt, aus ihr hervorzubrechen. Sie schrie und kämpfte darum, die Kontrolle über ihre Kräfte zurückzugewinnen, doch je länger der Sturm durch ihren Leib und die Wohnung tobte, desto weniger konnte sie ihn beeinflussen.
Ihre Beine gaben nach, bis sie haltlos im Griff des Kühlschranks hing. Sein Gesicht verschwamm, als die Dunkelheit näher kam. Ihr letzter Gedanke galt der Mauer, ehe die Schwäche ihren schwarzen Schleier über ihren Geist breitete.
10
A ls Alessa zu sich kam, war es still und dunkel, wobei Letzteres daher rührte, dass sie sich weigerte die Augen zu öffnen. Sie versuchte krampfhaft sich daran zu erinnern, was geschehen war. Zweifelsohne würde es helfen, sich umzusehen, doch sie wollte nicht unvorbereitet Dinge sehen, die womöglich nur schwer zu ertragen waren.
Sie war noch einmal zur Wohnung des Professors gegangen, so viel wusste sie immerhin, und seltsamerweise fand das Bild eines großen weißen Kühlschranks seinen Weg vor ihr geistiges Auge, ohne dass sie wusste warum. Hatte sie dort etwas gefunden? Versteckte Notizen in einer Plastiktüte im Gefrierfach?
Alessa hatte nicht das Gefühl, dass sie in der Küche des Professors gewesen war. Sie glaubte auch nicht, dass sie überhaupt die Gelegenheit gehabt hatte, die Wohnung zu durchsuchen, trotz all ihrer Erinnerungslücken. Es war eine Gewissheit, die sich an genau der Stelle in ihrem Unterbewusstsein angesiedelt hatte, an der die Erinnerung an ihren Besuch in der Wohnung hätte sein sollen.
Sie war dort gewesen, dessen war sie sich sicher.
Das war wenigstens ein Anfang. Wenn es ihr jetzt noch gelang, die verlorenen Erinnerungen loszulösen, wäre sie schon einen ganzen Schritt weiter. Vielleicht würde es helfen, die Augen zu öffnen und zu sehen, wo sie war, doch noch war sie dafür nicht bereit.
Für den Anfang musste es genügen, ihre Hände auf die Reise zu schicken. Sie ließ ihre Finger über den Untergrund gleiten, auf dem sie lag. Er war wohlig weich und warm, und für einen Moment fühlte sie sich an ihre Schlafcouch erinnert, doch dort, wo die schmale Couch längst geendet hätte, strichen ihre Finger noch immer über Stoff. Um sie herum war es angenehm warm, so sehr, dass sie sich fragte, ob dem Ausbruch ein Fieber gefolgt war.
Der Ausbruch!
Stück für Stück fanden die Bilder zurück in ihre Erinnerung. Wirbelnde Gegenstände, zwei Männer und sie selbst mittendrin, und tief in ihr das Brüllen des Dämons. Alessa lauschte in sich hinein, suchte nach dem Schmerz, den der Dämon hinterlassen hatte, als er aus ihrem Körper gebrochen war, doch abgesehen von einem leichten Dröhnen in ihrem Schädel fehlte ihr nichts.
Der Dämon schwieg.
Erleichtert darüber, dass es ihr selbst im bewusstlosen Zustand gelungen war, die Schutzwälle zu halten, öffnete sie nun doch die Augen. Sie lag in einem breiten Bett, eine dicke Daunendecke über sich. Erschrocken spähte sie darunter und stellte erleichtert fest, dass sie – von ihrer Jacke und den Schuhen einmal abgesehen – vollständig angezogen war. Sie setzte sich auf. Halb erwartete sie, Logan am Fuß des Bettes zu sehen, doch außer ihr war niemand im Zimmer.
Aus einem Spiegel, der rechts von ihr über einer Kommode hing, starrte Alessa ihr eigenes Gesicht entgegen, verwirrt und genauso erschöpft aussehend, wie sie sich fühlte. Neben der Kommode war eine geschlossene Tür. Ein riesiger Schrank mit Schiebetüren nahm den größten Teil der Wand am Fußende des Bettes ein, und auf einem Sessel, der zu ihrer Linken in einer Ecke neben dem Fenster stand, entdeckte sie ihren Parka und darunter ihre Stiefel. Helle, bodenlange Gardinen
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