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Die Dame aus Potsdam

Titel: Die Dame aus Potsdam Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg R. Kristan
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Freizeit opfern, um einem Wessi-Kollegen einen Gefallen zu tun. Sie wird dich morgen – ich schätze so gegen zehn – anrufen und dir einen detaillierten Bericht geben. Ihr beide schließt euch in dieser Sache am besten unmittelbar kurz; sie wird mich auf dem laufenden halten. Du kannst mich natürlich auch jederzeit anrufen. Noch etwas: Gib uns morgen mal die Nummer der Makarow durch. Wenn’s der Deubel will, gehört die Pistole zu einer der Serien, die wir hier erfaßt haben.«
    Nach diesem Gespräch waren für Karl Noack erst einmal die neuen Sicherheitskonzepte für unbedarfte Politiker gestorben. Wenn »Don Carlos«, wie er wegen seines Faibles für Spanien genannt wurde, aus dem Fenster sah, hatte er den verwinkelten Hinterhof seines Dienstgebäudes im Blick. Hier standen Einsatz- und Hilfsfahrzeuge sowie die Motorräder der Verkehrsstaffel, deren Beamte sich Tag für Tag mit schweren Unfällen auf den Straßen rund um Potsdam konfrontiert sahen. Das unzulängliche Straßennetz, Tausende von neu zugelassenen Fahrzeugen und der immer noch nicht abebbende Drang, die PS der Westfahrzeuge auszukosten, hatten eine Situation geschaffen, mit der Polizei und Ärzte kaum fertig wurden.
    Das Hauptgebäude an der Henning-von-Tresckow-Straße stammte noch aus Preußens Zeiten, war alt und unpraktisch, hatte aber dicke Wände und hohe Räume, so daß es sich im Sommer darin aushalten ließ. Die Kripo hospitierte jenseits des Innenhofs in einem der häßlichen Ergänzungsbauten mit Zimmern wie Kaninchenställe. Insoweit unterschieden sich manche Dienststellen in Ost und West nur unwesentlich voneinander.
    Auch Kriminalhauptkommissarin Angelika Lette, Leiterin der Morduntersuchungskommission, blickte aus ihrem Fenster in den Hof. Sie war groß, nicht gerade dick, aber keineswegs schlank. Mit weichen Gesichtszügen bei dunklem Haar und braunen Augen wirkte sie sanft; obwohl sie – zur großen Überraschung aller – schon manchen schweren Jungen aufs Kreuz gelegt hatte. Niemand im Präsidium beherrschte die Kunst der Selbstverteidigung besser als sie; an ihren Spitznamen »die Starke« hatte sie sich inzwischen gewöhnt. Es hatte lange gedauert, bis sie die politische Wende verkraftet hatte. Sie war in der DDR aufgewachsen: Kinderkrippe, Ernst-Thälmann-Pioniere, Junge Pioniere, FDJ. Sie hatte alle Halstücher getragen, die es für gute Leistungen gab. Begeistert war sie im Blauhemd mitmarschiert, vorgeblich für eine bessere Welt. Erst als die Millionenschiebereien mit Geldern der ehemaligen SED ans Licht gekommen waren, hatte sie ihr PDS-Parteibuch zurückgegeben. Und sie hatte geweint. »Ich bin ja so was von enttäuscht«, war ihre Formel, mit der sie von den Idealen ihrer Jugend Abschied nahm. Eine Liebe kaputt, das Studium geschmissen, die Jugend verfehlt – so stand sie für viele, die nach neuer Orientierung suchten. Immerhin hatte sie ihren Job nicht verloren. Aus der Frau Oberleutnant mit drei Sternen war zunächst die Oberkommissarin und alsbald mit der Ernennungsurkunde des Landes Brandenburg die Hauptkommissarin geworden. Dafür war sie dankbar, kein Dienst wurde ihr zuviel. So sagte sie ohne Zögern zu, dem Kollegen aus Bonn zu helfen.
    Immer noch war es ein Kunststück, jemanden telefonisch zu erreichen. Zwar waren Zehntausende von neuen Anschlüssen geschaffen worden, doch Werner Hegewich, Lehrer, Musikfreund und Vorsitzender des Bonn-Zirkels, gehörte nicht zu den Glücklichen, denen Telekom eine TEA-Steckdose ins Haus gelegt hatte. Die Hauptkommissarin durfte also wieder einmal ihren Trabi einsetzen. Für sie war es ein letzter Akt des Trotzes gewesen, den seit Jahren bestellten Trabant abzunehmen. Später wollte sie weitersehen.
    Hegewich wohnte in einem Betonplattenbau nahe seiner Schule in der Berliner Vorstadt. Kaum hundert Meter entfernt donnerte der Verkehr zur Glienicker Brücke.
    Angelika Lette hatte Glück. Nach dem ersten Klingeln wurde sie von einem kleinen Mädchen begrüßt. »Guten Tag, ja, mein Vater ist zu Hause, kommen Sie herein.«
    Im Treppenhaus roch es nach frischer Farbe. Das Mädchen ging voran: »Papa, hier ist eine Frau, die dich sprechen möchte.«
    Werner Hegewich, ein magerer Mann mit Halbglatze, zuckte zurück, als Angelika Lette sich als Kriminalhauptkommissarin vorstellte. »Was verschafft mir – wenn ich es mal so altmodisch ausdrücken darf – die Ehre Ihres Besuchs?«
    »Ich habe ein paar Fragen zu stellen.«
    »Bitte – wenn ich Ihnen helfen kann.«
    Die Wohnung

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