Die Dame aus Potsdam
mit den Freunden des Bonn-Zirkels unserer Partnerstadt Potsdam in Kultur zu machen?«
»Jawohl, Herr Kommissar. Freischütz und gesponserte Bötchenfahrt standen auf der Tagesordnung – prima Sache. Aber was soll die Frage?«
»Ach, nur so. Weißt du, der Tote mit der DDR-Münze hatte noch eine Makarow, also eine Pistole russischer Bauart in der Hand, und bei so vielen Hinweisen auf ›östliche Dinge‹ frage ich mich, ob unsere Leiche nicht etwas mit dieser Veranstaltung zu tun gehabt hat.«
Sabine nahm einen kräftigen Schluck Wein, tauchte dann den Finger ins Glas und tippte sich an die Stirn. »Woll’n wir nun abschalten, oder hast du vor, mit mir über Makarows Leichen zu diskutieren? – Also, bei uns ist niemand in der Oper an der Kunst erstickt, keiner ist über Bord gegangen, und die Männer von Potsdams Eintracht haben auch nicht am Bismarckturm gesungen. Alle Damen und Herren waren putzmunter und manche so angesäuselt, wie ich hoffe, trotz deiner dämlichen Fragen schon bald zu sein. Wie soll man dich sonst ertragen!«
»Sind sie alle wieder abgefahren?«
»O Waldi, du nervst total! – Das weiß ich doch nicht. Da mußt du in Potsdam anfragen.«
Freiberg leerte sein Glas. »Wenn ich dich nicht hätte, Hilfskraft!« Damit stand er auf, setzte sich an seinen Schreibtisch und blätterte im Telefonverzeichnis. »Aha, hier, Polizeipräsidium Potsdam; ich werd’ kurz den Kollegen Noack anrufen, den ich ja schon vom Sonderkurs in Brühl her kenne. Der soll sich mal umhören, ob der Bonn-Zirkel noch komplett ist.«
Sabine trommelte wütend mit dem Löffel auf den Tellerrand, so daß Walter schnell hinzufügte: »Rückruf natürlich erst morgen früh.«
6
Im Polizeipräsidium Potsdam wurde durchweg länger gearbeitet als in den westlichen Dienststellen der Republik. Die Umstrukturierung nach der Vereinigung verursachte immer noch Mehrarbeit. So war es nicht verwunderlich, daß der Anruf aus Bonn den Gruppenleiter Karl Noack an seinem Schreibtisch bei der Sichtung von Akten erreichte. Der vor ihm liegende Bericht über Gewaltverbrechen, vor allem Bankraub und schwere Körperverletzung, war alles andere als erbaulich. Auf diese »Westerrungenschaften« hätte er gern verzichtet. Hinzu kamen die Meldungen über den geradezu mörderischen Straßenverkehr, der die Rate der Unfallopfer zu traurigen Rekorden ansteigen ließ. Die Forderung hilfloser Politiker, neue Konzepte zu entwickeln, war bei dem vorhandenen Personalstand, mit dem sich kaum die brennendsten Probleme bewältigen ließen, ein ständiges Ärgernis.
So fühlte sich Karl Noack durch den Anruf von Freiberg geradezu erlöst. Er hätte seinen Kollegen vom Rhein bestimmt nicht so lange an der Strippe festgehalten, wenn er gewußt hätte, daß da noch eine studentische Hilfskraft auf die Fortsetzung des Abendessens wartete. Freiberg und Noack hatten sich bei zahlreichen Austauschaktionen kennengelernt, als es darum ging, der Polizei im neuen Bundesland Brandenburg mit dem Know-how aus Nordrhein-Westfalen zur Seite zu stehen. Erst beim kollegialen »Du« hatte Noack von den Spannungen und Problemen erzählt, mit denen er und seine Kollegen fertig werden mußten, nachdem der Staat des real existierenden Sozialismus zusammengebrochen war. Ohne eine zumindest nominelle Mitgliedschaft in der SED hatte vorher niemand eine Chance gehabt, auch nur eine untere Führungsposition zu erlangen. So schleppten also alle, die ein paar Jahre Dienst auf dem Buckel hatten, ihre Vergangenheit mit sich herum. Obwohl es eine große Reinigung von Stasi-Angehörigen gegeben hatte, wußte niemand genau, ob sich nicht noch ein paar inoffizielle Mitarbeiter oder sogar Offiziere im besonderen Einsatz – durch eine sichere Legende getarnt – unter ihnen befanden.
Karl Noack, ein strohblonder intellektueller Typ, der sogar über einen kräftigen Schuß Humor verfügte, wußte bei Freibergs Anliegen sofort, wen er für so eine Recherche bei Tag und Nacht in Anspruch nehmen konnte – Kriminalhauptkommissarin Angelika Lette, die frischgebackene Leiterin der Morduntersuchungskommission. Sie hatte ein paar Semester Musik studiert, war dann wegen einer unglücklichen Liebesgeschichte vom Konservatorium geflogen und bei der Kriminalpolizei gelandet. Sie spielte recht ordentlich Orgel und Cembalo und sprang bei musikalischen Veranstaltungen öfter ein.
»Also, Walter«, machte Noack endlich Anstalten, das Gespräch zu beenden, »Frau Lette wird sicher gern ihre
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