Die Dame aus Potsdam
wie ihr, würde ich überhaupt nicht mehr arbeiten«, meinte Fräulein Kuhnert mit sehnsüchtigem Glanz in den Augen.
»Ich verdiene die Brötchen, und Helga verdient mich«, klarte Lupus seine Mitarbeiter auf. »Ahrens, paß auf, was da auf dich zukommt!«
Kommissar Freiberg war schon zwanzig Minuten später in seiner Souterrainwohnung. Er hatte sich endlich entschlossen, sie zum Ende des Quartals aufzugeben, nicht zuletzt wegen der Fußkälte. Sabine hatte ihm schon seit Jahren zugesetzt, seinem Ischiasnerv eine Freude zu bereiten und den »Untergrund« zu räumen. Nach langem Zögern wollte er endlich mit seiner »studentischen Hilfskraft«, wie er Sabine nannte, in eine achtzig Quadratmeter große Wohnung in der Brentanostraße, unweit des Präsidiums, einziehen. Diesen Glücksfall hatte ein Kollege frei gemacht, der auf eine schnellere Karriere in Dresden hoffte.
Sabine hing noch in der Universitätsbibliothek an der Adenauerallee fest. Sie, die wissenschaftliche Bibliothekarin Dr. phil. Heyden, hatte eine Gruppe von Referendaren in die Geheimnisse der Katalogtechnik einzuweisen.
Walter Freiberg begann die Vorbereitungen des Abends damit, daß er ausgiebig den Wein probierte – einen roten Burgunder von der Ahr. Der Reis – eine Tasse auf zwei Tassen Wasser – garte auf kleiner Flamme. Das Rehragout kam aus der Tiefkühltruhe, und ein Glas Preiselbeeren fand sich noch im Kühlschrank.
Schon bald hörte er, daß Sabine ihr Fahrrad am Eisenzaun festmachte, und sah sie aus der Kellerperspektive über die Steinplatten des Vorgartens zum Eingang eilen. Der Anblick ihrer wohlgeformten Beine war so eine Art Hors-d’œuvre, auf das er sich vor jeder Mahlzeit freute.
»Hallo, mein Waldi, dich hatte ich erst später erwartet«, begrüßte sie ihren Commissarius und ließ die intensive Umarmung gern über sich ergehen. Sie hatte sich in den Jahren kaum verändert. Ihre großen dunkelbraunen Augen beherrschten das immer etwas blasse Gesicht. Obwohl sie gutes Essen schätzte, hatte sie ihre feingliedrige Figur behalten, wenn auch ein paar kleine Pfunde an der richtigen Stelle hinzugekommen waren. »Was ist los in eurem Bullenkloster, daß du schon hier bist?«
»Nicht allzuviel. Heute in der Früh wurde ein unbekannter Toter mit einem Loch im Herzen am Bismarckturm gefunden. Mord oder Selbstmord – ist noch offen. Ich fürchte aber, daß es ein Fall fürs 1. K. geben wird und damit viel Arbeit. Da wir die Reaktionen auf die morgen erscheinenden Zeitungen abwarten müssen – Mauser wird wie immer kräftig die Trommel rühren –, haben wir uns etwas früher verdrückt.«
»Da wird Helga ihren Lupus aber an die Arbeit kriegen.«
»Hoffentlich – und was machen wir?«
»Brauchst du nicht Ruhe nach dem 24-Stunden-Turn?«
»Ha, ich brauche dich – und zwar ausgiebig.«
»Nun mal schön der Reihe nach; auch die Frau hat ein Grundrecht auf Nahrung, Menschenwürde und so. Das solltest du als Historiker doch wissen. Darum werden wir erst mal essen, und wenn du mir den Rest des Weins zugestehst, kann aus dem Tag noch eine Nacht werden.« Sie sah ihn von der Seite an. »Mein Commissarius hat also nicht das Leichensyndrom?«
Walter Freiberg hatte es nicht so gern, wenn Sabine auf seine Animosität und darauf anspielte, daß seine Liebesbereitschaft nicht sehr ausgeprägt war, wenn es am Tatort gräßlich ausgesehen hatte.
»Du hörst doch, no problems. – Der tote Herr war noch recht gut beieinander.«
Das makabre Thema hinderte die beiden nicht, kräftig zuzulangen und die zweite Flasche Wein in ihr Zwiegespräch mit einzubeziehen.
»Himmel«, stellte Sabine schon vor der Nachspeise fest, »der Sanfte von der Ahr macht mich sensibel.«
Walter Freiberg lächelte. Er kannte seine »Hilfskraft« und wußte, daß diese Nacht nicht nur zum Schlafen da sein würde. Gleichwohl ging ihm der neue Fall noch im Kopf herum. Er fragte über den Obstsalat hinweg: »Worauf würdest du schließen, wenn ein Mensch einen alten DDR-Pfennig im Portemonnaie mit sich herumträgt?«
Sie sah ihn vernichtend an. »Du hast ein besonderes Talent für das falsche Wort zur falschen Zeit – und das auch noch am falschen Ort. Aber damit du nicht meinst, der Wein hätte meinen Verstand getrübt: Der Mensch hat oder hatte eine besondere Beziehung zur Ex-DDR und trägt den Pfennig als Glücksbringer; also ein nostalgischer Tick.«
Freiberg nickte. »Auch meine Meinung. Sag mal, du hast doch deine Frei-von-Mann-Zeit am Wochenende genutzt, um
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