Die Dame aus Potsdam
Potsdam zum Ausgang. Sie hat den Wagen abgelehnt und will zu Fuß gehen, vielleicht auch die U-Strab nehmen. Wir müssen über jeden Schritt orientiert sein, den sie tut. Also häng dich dran.« Freiberg legte auf.
»Sind wir nun schlauer geworden?« lautete seine übliche Frage nach so einem Gespräch.
»Ich denke doch«, sagte Kommissarin Lette. »Wir müssen uns mit Munskaus und ihren Gästen befassen – alles Leute mit Geschäftsbeziehungen, die für Dealer interessant sein können. Wenn auch Silke Marino damit in Verbindung zu bringen ist, wird’s noch mal so interessant. Sie und Beate Randolf waren jedenfalls zur Tatzeit in Bonn.«
»Ein handfestes Motiv wäre mir lieber«, bremste Freiberg die Spekulation. »Was jetzt?« Wieder griff er zum Telefon; dabei gab er seiner Kollegin nur ein Stichwort: »Staatsschutz.«
»Hallo, Herr Sörensen. Ich komme mit einer ganz dringenden Bitte. Bei mir ist die Leiterin der Morduntersuchungskommission Potsdam, Hauptkommissarin Lette. Sie hört mit. Wir ermitteln gemeinsam in der Mordsache am Bismarckturm. Der Tote ist als Valentin Randolf von seiner Ehefrau Beate identifiziert worden. Er war Chef der Firma ›Special-Transports‹, ehemaliger Oberst im MfS, wohnhaft in Potsdam. Tatmotiv bisher unbekannt.«
»Und was wollen Sie von mir wissen?« fragte Sörensen dazwischen.
»Die Randolf war zur Tatzeit in Bonn und hat sich mit Leuten getroffen, von denen wir wissen möchten, wo sie politisch und sicherheitsmäßig hingehören. Ich gebe Ihnen mal die Namen durch.«
Sörensen wiederholte: »Munskau, Ellen und Stefan; Hartenstein, Jens; Mühlberg, Ilse; und Kalisch, Bernd. – Richtig?«
»Richtig. Außerdem ist da noch die Schauspielerin Silke Marino, die abgecheckt werden sollte.«
Die sonore Stimme von Sörensen wirkte beruhigend. »Wird geklärt, Freiberg, wird alles schnellstens geklärt. Das Bundesamt in Köln hat alle Hauptamtlichen des MfS erfaßt. Das sind an die hunderttausend Namen. Für die Überprüfung der angegebenen Personen braucht der Computer schon ein paar Minuten. – Ich rufe so schnell wie möglich zurück. Bis gleich.«
»So einfach geht das?« Kommissarin Lette schüttelte zweifelnd den Kopf. »Aus hunderttausend Namen sollen in ein paar Minuten die richtigen herausgefunden sein?«
»Wenn unsere Computer jemanden zu fassen kriegen, dann ist er geliefert. Aber die Dinger verdauen auch nur das, was man ihnen eingibt. Mein guter Lupus ist allergisch gegen die Art von Fortschritt. Für ihn sind das nur eiserne Blödmänner, die täglich mit unserem Wissen gefüttert werden müssen. – Doch die Kölner haben in den letzten Monaten viel DDR-Futter eingebracht. Sörensen ist ein ganz alter Hase und bekommt vom Bundesamt für Verfassungsschutz über seine abgeschirmte Leitung alles, was er braucht.«
»Ihr seid mir schöne Datenschützer«, stellte die Kommissarin fest. »Da liegt das ganze Stasi-Gerippe komplett bei euch Wessis im Bundesamt, und wir Ossis brauchen Wochen, um festzustellen, ob es noch eine Disziplinarakte Valentin Randolf gibt.«
»Ich habe was von über sechs Millionen Akten gehört, zum Teil ungeordnet und ausgeschlachtet«, sagte Freiberg. »Da möchte ich auch nicht suchen müssen.«
»Schnell geht’s nur, wenn ein Politiker abgeschossen werden soll. Es ist doch zum Kotzen, was man für eine Vergangenheit mit sich herumschleppen muß«, ereiferte sich Angelika Lette. »Man fühlt sich ja fast schon als Widerstandskämpfer, wenn man nur einfaches Mitglied in der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands war.«
»Du warst also auch in der SED?« fragte Freiberg spontan. »Entschuldige, das gehört nicht hierher – vergiß die Frage.«
»Schon gut. Sicher war ich Mitglied, wie du dir denken kannst. Ich hab’ sogar geglaubt, daß am Sozialismus der gepredigten Güte etwas dran sein müßte: Friede, Gerechtigkeit – jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen – und Wohlstand für alle. Das haben sie immer gepredigt. Humbug! Nichts als Humbug! Das Land verseucht, die Städte ruiniert, Fabriken nur Schrotthaufen und jetzt Arbeitslose en masse; Menschen, die aus ihrer Lethargie kaum wachzurütteln sind. Wir sitzen immer noch fest, wie die Spinne im Kleistertopf. Vierunddreißig Jahre war das mein Leben. Mein Gott – es kann doch nicht alles schlecht gewesen sein; wir haben doch auch gearbeitet und aufgebaut. – Ihr Wessis begreift einfach nicht, wie kaputt wir sind. Man fühlt sich beschissen, wenn
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