Die Dame vom See - Sapkowski, A: Dame vom See
man hinhören, wenn erwas sagt. Das kann nur gut sein. Man lernt was. Und was zu lernen, hat noch keinem geschadet. Na ja, fast keinem.«
»Was wahr ist, ist wahr«, erklärte Melfi. »Der Jarre, der ist wirklich nicht dumm, hat’s mit dem Lesen und Schreiben … Gelehrt ist er! Er macht ja in Ellander den Gerichtsschreiber, und im Tempel der Melitele hat er die ganze Büchersammlung unter seiner Fuchtel …«
»Was macht dann, fragt sich«, unterbrach ihn Hecht und musterte Jarre durch Rauch und Funken hindurch, »so ein beschissner Gerichts-Tempel-Bücherwurm auf der Straße nach Wyzima?«
»Wie ihr auch«, sagte der junge Mann, »gehe ich zur Armee.«
»Und was« – Hechts Augen funkelten, warfen den Feuerschein zurück wie wahre Fischaugen das Licht von der Bugleuchte eines Schiffes –, »was gedenkt dieser Gerichts-Tempel-Gelehrte beim Militär zu suchen? Denn Rekrut wird er doch wohl nicht sein? Hm? Jeder Dummkopf weiß ja, dass die Tempel von den Kantonierungen ausgenommen sind, sie brauchen keine Rekruten zu stellen. Und jeder Dummkopf weiß auch, dass jedes Gericht seinen Schreiberling vom Dienst ausnehmen und freistellen kann. Wie also ist das, Herr Amtmann?«
»Ich gehe als Freiwilliger zur Armee«, teilte Jarre mit. »Ich trete selbst ein, aus eigenem Willen, nicht als Einberufener. Teils aus persönlichen Beweggründen, aber hauptsächlich aus dem Gefühl patriotischer Verpflichtung heraus.«
Die Gesellschaft lachte laut, dröhnend, im Chor.
»Seht ihr, Jungs«, sagte schließlich Hecht, »was für Widersprüche mitunter in einem Menschen stecken. Zwei Naturen. Da haben wir einen jungen Mann, man sollte meinen, gebildet und erfahren, dazu noch von Geburt aus bestimmt nicht dumm. Er muss wissen, was im Krieg los ist, wer wen schlägt und bald schon vollends schlagen wird. Aber er, ihr habt’s selber gehört, will sich ohne Zwang, aus eigenem Willen, aus paterotischer Pflicht der Verliererseite anschließen.«
Niemand sagte etwas dazu, auch Jarre nicht.
»So eine paterotische Pflicht«, erklärte Hecht schließlich, »wie sie für gewöhnlich nur Geisteskranken eigen ist, mag ja einem Tempel-Gerichts-Zögling sogar anstehen. Aber da war auch von gewissen persönlichen Beweggründen die Rede. Ich wüsste doch zu gern: Welche persönlichen Beweggründe sind das?«
»Sie sind so persönlich«, entgegnete Jarre scharf, »dass ich nicht davon reden werde. Zumal Ihr, werter Herr, es auch nicht besonders eilig habt, von Euren Beweggründen zu sprechen.«
»Pass auf«, sagte Hecht nach kurzem Schweigen, »wenn irgendein Dahergelaufener so mit mir reden würde, der bekäme sofort aufs Maul. Aber ein gelehrter Schreiberling … dem verzeihe ich … für diesmal. Und ich antworte: Ich gehe auch zur Armee. Und auch als Freiwilliger.«
»Um sich wie ein Geisteskranker der Verliererseite anzuschließen?« Jarre wunderte sich selbst, woher er auf einmal so viel Schneid nahm. »Und unterwegs Reisende auf Brücken auszunehmen?«
Melfi lachte laut los und kam so Hecht zuvor. »Er ist immer noch sauer auf uns wegen dem Hinterhalt an der Brücke. Lass gut sein, Jarre, das war doch bloß Spaß! So’n harmloser Streich! Stimmt doch, Hecht?«
»Stimmt.« Hecht gähnte, klappte die Zähne aufeinander, dass man geradezu ein Echo hörte. »So’n harmloser Streich. Das Leben ist traurig und trüb, reinweg wie ein Kalb, das sie zur Schlachtbank führen. Da kann man sich nur mit einem Spaß oder Streich aufmuntern. Findest du nicht, Schreiberling?«
»Finde ich. Im Prinzip.«
»Das ist gut.« Hecht fixierte ihn noch immer mit den funkelnden Augen. »Denn sonst wärst du ein schlechter Kumpel für uns und würdest lieber allein nach Wyzima marschieren. Am besten gleich.«
Jarre schwieg.
Hecht reckte sich. »Ich habe gesagt, was ich zu sagen hatte. Na, Jungs, wir haben Späße gemacht, Streiche, uns amüsiert, und jetzt ist es Zeit zur Ruhe. Wenn wir am Abend in Wyzima sein sollen, dann müssen wir los, wenn es hell wird.«
Die Nacht war sehr kalt, Jarre konnte trotz der Erschöpfung nicht einschlafen. Er lag zusammengerollt unter dem Umhang, dass die Knie fast das Kinn berührten. Als er endlich Schlaf fand, schlief er schlecht, immer wieder weckten ihn Träume. An die meisten erinnerte er sich nicht. Mit Ausnahme von zweien. Im ersten saß der ihm bekannte Hexer Geralt von Riva unter von einem Felsen hängenden langen Eiszapfen, reglos, eisbedeckt und rasch eingeschneit. In dem anderen Traum
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