Die Dame vom See - Sapkowski, A: Dame vom See
Halbling. Ein Nichtmensch.
Ein Fremder.
»Shani!«
»Ja, Herr Vanderbeck?«
»Rusty. Für dich also ›Herr Rusty‹. Was ist das, Shani? Und wozu dient es?«
»Examiniert Ihr mich, Herr Rusty?«
»Antworte, Mädchen!«
»Das ist ein Raspator! Zum Zusammenziehen der Knochenhaut bei einer Amputation! Damit die Knochenhaut unter den Zähnen der Säge keine Risse bekommt und man einen sauberen und glatten Sägeschnitt bekommt. Seid Ihr zufrieden? Habe ich bestanden?«
»Nicht so laut, Mädchen, nicht so laut.«
Merkwürdig, dachte er. Wir sind hier vier Ärzte. Und allesamt rothaarig! Schicksal oder was?
»Kommt bitte«, sagte er mit einer Kopfbewegung, »mit vors Zelt, Mädchen.«
Sie taten, wie ihnen geheißen, obwohl alle drei ungehalten schnaubten. Jede auf ihre eigene Art.
Vor dem Zelt saß die Gruppe der Sanitäter, die sich der letzten Minuten süßen Nichtstuns erfreuten. Rusty musterte sie mit strengem Blick, schnupperte, ob etwa gar jemand schon im Stoff sei.
Der Schmied, ein großer Kerl, machte sich an seinem Tisch zu schaffen, der an eine Folterbank erinnerte, und ordnete seine Geräte, die dazu dienten, Verwundete aus Rüstungen, Kettenpanzern und verbogenen Helmvisieren herauszuschälen.
»Dort«, begann Rusty ohne Vorrede und zeigte zum Feld hin, »wird in einem Moment das Gemetzel beginnen. Und einenMoment danach werden die ersten Verwundeten eintreffen. Alle wissen, was sie zu tun haben; jeder kennt seine Pflichten und seinen Platz. Wenn jeder beachtet, was er zu beachten hat, kann nichts schiefgehen. Klar?«
Keins von den »Mädchen« sagte dazu etwas.
»Dort«, fuhr Rusty fort und zeigte abermals, »werden gleich an die hunderttausend Leute beginnen, einander zum Krüppel zu schlagen. Auf sehr ausgesuchte Arten. Wir, die beiden anderen Spitäler eingerechnet, sind zwölf Ärzte. Um nichts in der Welt werden wir imstande sein, allen Hilfebedürftigen zu helfen. Nicht einmal einem verschwindend geringen Teil der Hilfebedürftigen. Das erwartet auch gar niemand.
Aber wir werden heilen. Denn das, ich entschuldige mich für den Gemeinplatz, ist unser Daseinszweck. Den Hilfebedürftigen zu helfen. Wir werden also einfach so vielen helfen, wie wir können.«
Wieder hatte niemand etwas zu bemerken.
Rusty wandte sich um. »Wir werden nicht viel mehr tun können, als wir vermögen«, sagte er leiser und wärmer. »Aber wir alle wollen uns bemühen, dass es nicht viel weniger ist.«
»Sie sind in Bewegung gekommen«, stellte der Konnetabel Jan Natalis fest und wischte sich die schweißbedeckte Hand an der Hüfte ab. »Euer Majestät. Nilfgaard bewegt sich. Sie greifen an!«
König Foltest brachte das tänzelnde Pferd unter seine Kontrolle, einen Grauschimmel in einem liliengeschmückten Zaumzeug, wandte dem Konnetabel sein schönes Profil zu, das es wert war, auf Münzen geprägt zu werden.
»Dann müssen wir sie würdig empfangen. Herr Konnetabel! Meine Herren Offiziere!«
»Tod den Schwarzen!«, riefen wie ein Mann der Condottiere Adam »Adieu« Pangratt und Graf de Ruyter. Der Konnetabel schaute sie an, dann straffte er sich und holte tief Luft. »Zu den Bannern!!!«
Aus der Ferne dröhnten dumpf die Nilfgaarder Pauken und Trommeln, es heulten Krummhörner, Olifanten und Zinken. Unter tausendfachem Hufschlag bebte die Erde.
»Gleich«, ließ sich Andy Biberveldt vernehmen, der Trossälteste, und strich die Haare von dem kleinen, spitz zulaufenden Ohr zurück. »Jeden Augenblick.«
Tara Hildebrandt, Didi »Hopfner« Hofmeier und die anderen ringsum versammelten Fuhrleute nickten. Auch sie hörten das dumpfe, monotone Dröhnen der Hufe, das von jenseits der Anhöhe und des Waldes herandrang. Sie hörten das anschwellende, an das Summen von Hummeln erinnernde Geschrei und Gebrüll. Sie spürten, wie der Boden bebte.
Das Gebrüll wurde plötzlich stärker, sprang einen Ton höher.
»Die erste Salve der Bogenschützen.« Andy Biberveldt hatte Erfahrung, er hatte schon so manche Schlacht gesehen oder eher gehört. »Es kommt noch eine.«
Er hatte recht.
»Jetzt stoßen sie aufeinander!«
»Wir sss-sollten lll-lieber unter die Www-wagen«, schlug William Hardbottom, genannt der Hahaspler, vor und drehte sich unruhig hin und her. »Ich sss-sag euch …«
Biberveldt und die übrigen Halblinge schauten ihn mitleidig an. Unter die Wagen? Wozu? Vom Ort der Schlacht trennte sie fast eine Viertelmeile. Und wenn sogar irgendein Beritt hierher ins Hinterland, zum Tross, gelangen
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