Die Dame vom See - Sapkowski, A: Dame vom See
Braten um, denn es begann angebrannt zu riechen. Als wolle er sich abstützen, legte er die Hand aufs Griffstück des Bogens.
»Meine Habe ist armselig.« In den scheinbar ruhigen Ton flocht er einen rauen, metallischen Faden der Warnung ein. »Es ist nicht viel. Aber ich hänge daran. Ich werde sie auf Leben und Tod verteidigen.«
»Ich bin kein Bandit«, sagte der Mann, der sich beim Anschleichen als Menhir getarnt hatte, mit tiefer Stimme. »Ich bin ein Pilger.«
Der Pilger war groß und von mächtiger Statur, er maß gewiss sieben Fuß, und wenn man ihn gewogen hätte, so hätte Boreas jede Wette gehalten, dass als Gegengewicht mindestens drei Zentner benötigt worden wären. Der Pilgerstab, ein Knüppel, dick wie eine Wagendeichsel, sah in seiner Hand wie ein Stöckchen aus. Boreas Mun wunderte sich wirklich, wie ein derart großer Kerl sich so geschickt hatte anschleichen können. Er war auch etwas beunruhigt. Sein Kompositbogen, ein Siebzigpfünder, mit dem er auf fünfzig Schritt einen Elch niederstreckte, kam ihm plötzlich klein und fein wie ein Kinderspielzeug vor.
»Ich bin ein Pilger«, wiederholte der gewichtige Mann. »Ich habe keine bösen …«
»Der andere«, unterbrach ihn Boreas scharf, »soll auch rauskommen.«
»Was für ein an…«, begann der Pilger zu stottern und verstummte, als er sah, wie gegenüber eine schlanke Silhouette aus dem Dunkel hervortrat, lautlos wie ein Schatten. Diesmal wunderte sich Boreas Mun nicht. In dem zweiten Mann erkannte das erfahrene Auge des Fährtensuchers augenblicklich einen Elf. Und sich von einem Elf beschleichen zu lassen, war keine Schande.
»Ich bitte um Verzeihung«, sagte der Elf mit sonderbar unelfischer, leicht heiserer Stimme. »Ich habe mich vor Euch beiden nicht aus böser Absicht verborgen, sondern aus Furcht. Ich würde diesen Spieß wenden.«
»Stimmt«, sagte der Pilger, auf seinen Stab gestützt, und sog hörbar die Luft ein. »Auf dieser Seite hat das Fleisch mehr als genug abbekommen.«
Boreas drehte den Bratspieß, seufzte, räusperte sich. Und seufzte abermals.
»Die Herren wollen sich bitte setzen«, entschied er. »Und etwas warten. Das Tier sollte jeden Moment durch sein. Ha, wahrlich, ein Lump, der Reisenden unterwegs keinen Happen gönnt.«
Zischend rann Fett ins Feuer, das Feuer flammte auf, es wurde heller.
Der Pilger trug einen Filzhut mit breiter Krempe, deren Schatten das Gesicht recht wirksam verbarg. Dem Elf ersetzte den Hut ein buntes Kopftuch, das das Gesicht nicht verbarg. Als sie im Feuerschein dieses Gesicht erblickten, zuckten beide, Boreas und der Pilger, zusammen. Doch sie gaben nicht einmal einen Seufzer von sich. Nicht einmal einen leisen Seufzer beim Anblick dieses Gesichts, das einst gewiss auf Elfenart schön gewesen war, nun aber von einer hässlichen Narbe verunstaltet wurde, die schräg über Stirn, Braue, Nase und Wange bis zum Kinn verlief.
Boreas Mun räusperte sich, drehte abermals den Spieß. »Die ses Düftchen hat die Herren an mein Lagerfeuer geführt, nicht wahr?« Es war eine Feststellung, keine Frage.
»In der Tat.« Der Pilger nickte mit der Hutkrempe, und seine Stimme änderte sich ein wenig. »Ich will mich nicht rühmen, aber ich habe den Braten von weitem gerochen. Ich habe jedoch Vorsicht walten lassen. Auf dem Feuer, dem ich mich vor zwei Tagen genähert habe, wurde eine Frau gebraten.«
»Das ist wahr«, bestätigte der Elf. »Ich war am Morgen darauf dort und habe Menschenknochen in der Asche gesehen.«
»Am Morgen darauf«, wiederholte der Pilger gedehnt, und Boreas hätte wetten mögen, dass auf seinem im Schatten des Hutes verborgenen Gesicht ein ungutes Lächeln erschienen war. »Folgst du mir schon lange auf meiner Spur, Herr Elf?«
»Lange.«
»Und was hat dich davon abgehalten, dich zu zeigen?«
»Die Vernunft.«
»Der Elskerdeg-Pass« – Boreas Mun durchbrach das lastende Schweigen und drehte den Spieß weiter – »ist wirklich kein Ort, der sich eines besonders guten Rufes erfreut. Ich habe ebenfalls Knochen in Lagerfeuern gesehen, Skelette auf Pfählen. Erhängte an Bäumen. Es wimmelt hier von wilden Anhängern grausamerKulte. Und von Wesen, die nur darauf warten, dich zu fressen. Anscheinend.«
»Nicht anscheinend«, berichtigte ihn der Elf. »Mit Sicherheit. Und je weiter man in die Berge kommt, nach Osten, umso schlimmer wird es.«
»Ihr Herren wollt auch nach Osten? Über den Elskerdeg? Nach Serrikanien? Oder vielleicht noch weiter, nach
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