Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Dame vom See - Sapkowski, A: Dame vom See

Die Dame vom See - Sapkowski, A: Dame vom See

Titel: Die Dame vom See - Sapkowski, A: Dame vom See Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrzej Sapkowski
Vom Netzwerk:
Haakland?«
    Sie antworteten nicht, weder der Pilger noch der Elf. Boreas hatte eigentlich auch keine Antwort erwartet. Erstens war die Frage indiskret. Zweitens dumm. Von dem Ort, wo sie sich befanden, konnte man nur nach Osten gehen. Über den Elskerdeg. Dorthin, wohin auch er wollte.
    »Der Braten ist fertig.« Mit einer geschickten und ein wenig demonstrativen Bewegung klappte Boreas das Butterfly-Messer auf. »Bitte, die Herren. Lasst euch nicht bitten.«
    Der Pilger hatte einen Hirschfänger, der Elf ein Stilett, das auch nicht wie ein Küchenmesser aussah. Doch alle drei zu bedrohlicheren Zwecken geschliffenen Klingen dienten heute zum Zerschneiden des Bratens. Eine Zeitlang war nur Knacken und das Malmen der Kiefer zu hören. Und das Brutzeln der ins Feuer geworfenen Knochen.
    Der Pilger rülpste vornehm. »Ein seltsames Geschöpf«, sagte er und betrachtete das Schulterblatt, das er so abgenagt hatte, dass es aussah, als habe es drei Tage in einem Ameisenhaufen gelegen. »Es schmeckte ein wenig nach Ziege und ein ganz kleines bisschen nach Kaninchen   … Ich kann mich nicht erinnern, jemals so etwas gegessen zu haben.«
    »Das war ein Skrekk«, sagte der Elf und zerbiss geräuschvoll Knorpel. »Ich kann mich auch nicht entsinnen, jemals einen gegessen zu haben.«
    Boreas räusperte sich leise. Der kaum hörbare Beiklang von sarkastischer Fröhlichkeit in der Stimme des Elfs bewies, dass er wusste: Der Braten stammte von einer Riesenratte mit blutunterlaufenenAugen und großen Zähnen, bei der allein der Schwanz drei Ellen maß. Der Fährtensucher hatte keineswegs Jagd auf das gigantische Nagetier gemacht. Er hatte es in Notwehr erschossen. Er hatte jedoch beschlossen, es zu braten. Er war ein vernünftiger, nüchtern denkender Mann. Er hätte keine Ratte gegessen, die in Müll und Unrat wühlte. Aber vom Eingang zum Elskerdeg-Pass bis zur nächsten Gemeinde, die Müll hervorzubringen vermochte, waren es gut dreihundert Meilen. Die Ratte – oder, wie es der Elf wollte, der Skrekk – musste sauber und gesund sein. Man konnte sich also weder beschmutzen noch anstecken.
    Bald landete das letzte, kleinste, sauber abgenagte und ausgesogene Knöchelchen in der Glut. Der Mond stieg über der gezackten Kette der Feuerberge empor. Aus dem vom Wind angefachten Lagerfeuer sprühten Funken, die zwischen dem Gewimmel der blinkenden Sterne verhielten und verloschen.
    Boreas Mun riskierte die nächste nicht ganz diskrete Frage: »Seid ihr Herren schon lange unterwegs? Hier im Ödland? Habt ihr schon lange, wenn ich fragen darf, das Solveiga-Tor hinter euch gelassen?«
    »Lange, nicht lange – das sind relative Begriffe«, sagte der Pilger. »Ich bin am zweiten Tag nach dem Septembervollmond durchs Solveiga-Tor gegangen.«
    »Und ich am sechsten Tag«, sagte der Elf.
    »Ha«, fuhr Boreas fort, von der Reaktion ermuntert, »ein Wunder, dass wir uns dort nicht getroffen haben, denn auch ich bin damals dort durchgegangen, genauer gesagt, -geritten, denn da hatte ich noch ein Pferd.«
    Er verstummte und verscheuchte unangenehme Gedanken, die sein Pferd und dessen Verlust betrafen. Er war sich sicher, dass seine Zufallsgefährten ähnliche Abenteuer erlebt haben mussten. Wenn sie die ganze Zeit zu Fuß gegangen wären, hätten sie ihn niemals hier vor dem Elskerdeg eingeholt.
    »Ich folgere also«, fuhr er fort, »dass ihr gleich nach dem Krieg aufgebrochen seid, nach dem Friedensschluss von Cintra. Es geht mich natürlich nichts an, doch ich wage zu vermuten, dass den Herren die Ordnung und das Bild der Welt nicht gefallen haben, wie sie in Cintra geschaffen und festgelegt wurden.«
    »Wenn ich offen sein soll«, ließ sich unverhofft der Elf vernehmen, »so hatte ich keinen Anlass, nach dem Frieden von Cintra die Welt und ihr Bild zu mögen. Von der Ordnung ganz zu schweigen.«
    »In meinem Fall«, sagte der Pilger und verschränkte die mächtigen Unterarme vor der Brust, »war es ähnlich. Allerdings überzeugte ich mich davon, wie einer meiner Bekannten sagen würde,
post factum

    Lange herrschte Stille. Es verstummte sogar das, was auf dem Pass heulte.
    »Anfangs«, fuhr der Pilger fort, obwohl Boreas und der Elf gewettet hätten, er würde nicht fortfahren, »anfangs deutete alles darauf hin, dass der Friede von Cintra günstige Veränderungen mit sich bringen, eine durchaus erträgliche Weltordnung begründen würde. Wenn nicht für alle, so wenigstens für mich   …«
    »Die Könige«, sagte Boreas heiser,

Weitere Kostenlose Bücher