Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Dame vom See - Sapkowski, A: Dame vom See

Die Dame vom See - Sapkowski, A: Dame vom See

Titel: Die Dame vom See - Sapkowski, A: Dame vom See Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrzej Sapkowski
Vom Netzwerk:
flüstern schon jetzt, unser Kaiserreich sei ein Koloss auf tönernen Füßen! Schon jetzt schreien sie, sie hätten uns besiegt, geschlagen, vertrieben! Ist dem Kaiser klar, dass weitere Zugeständnisse bedeuten, dass wir ihr arrogantes und hochtrabendes Ultimatum akzeptieren? Versteht der Kaiser, dass sie das als Zeichen der Schwäche deuten werden, was in Zukunft betrübliche Folgen haben kann? Begreift der Kaiser schließlich, welches Schicksal etlichen Tausend von unseren Siedlern in Brugge und Lyrien bevorsteht?«
    Berengar Leuvaarden hatte aufgehört, den Pokal zu schwenken, und fixierte Shilard aus kohlschwarzen Augen. »Ich habe dem Herrn Baron den kaiserlichen Befehl übermittelt«, sagte er mit Nachdruck. »Wenn Ihr, Baron, den Befehl ausgeführt habt und nach Nilfgaard zurückkehrt, mögt Ihr den Kaiser gefälligst selbst fragen, warum er so unvernünftig sei. Vielleicht wird es Euch belieben, ihn zurechtzuweisen. Tacheles mit ihm zu reden. Ihn abzukanzeln. Warum nicht? Aber allein. Ohne meine Vermittlung.«
    Aha, dachte Shilard. Ich weiß schon. Vor mir sitzt ein neuer Stefan Skellen. Und man muss mit ihm verfahren wie mit Skellen.
    Aber es ist doch klar, dass er nicht ohne Zweck hergekommen ist. Den Befehl hätte ein gewöhnlicher Kurier überbringen können.
    »Nun ja«, sagte er scheinbar ungezwungen, sogar vertraulich. »Wehe den Besiegten! Aber der kaiserliche Befehl ist klar und konkret, also wird er genauso ausgeführt. Ich werde mich auch bemühen, es als Ergebnis von Verhandlungen erscheinen zu lassen und nicht als reinen Defätismus. Damit kenne ich mich aus. Ich bin seit dreißig Jahren Diplomat. Und in der vierten Generation. Mein Geschlecht zählt zu den bedeutendsten, begütertsten   … und sehr einflussreichen Familien.«
    »Ich weiß, ich weiß, gewiss doch«, unterbrach ihn Leuvaarden mit einem leichten Lächeln. »Deshalb bin ich hier.«
    Shilard deutete eine Verbeugung an. Er wartete geduldig.
    »Die Verständigungsschwierigkeiten«, begann der Abgesandte und schwenkte den Pokal, »sind daher aufgetreten, dass Ihr, lieber Baron, der Ansicht zu sein scheint, Sieg und Eroberung beruhten auf sinnlosem Abschlachten von Menschen. Darauf, irgendwo in die blutgetränkte Erde den Schaft der Standarte zu rammen und zu schreien: ›Bis hierhin meins, ich hab’s erobert!‹ Eine solche Ansicht ist leider ziemlich weit verbreitet. Für mich jedoch, Herr Baron, wie auch für die Leute, die mir Vollmacht gegeben haben, beruhen Sieg und Eroberung auf diametral entgegengesetzten Dingen. Ein Sieg muss so aussehen: Die Besiegten sind gezwungen, von den Siegern hergestellte Güter zu kaufen, ja sie tun das aus freien Stücken, weil die Güter der Sieger besser und billiger sind. Die Währung der Sieger ist stärker als die der Besiegten, und die Besiegten haben zu ihr wesentlich größeres Vertrauen als zu ihrer eigenen. Versteht Ihr mich, Herr Baron Fitz-Oesterlen? Beginnt Ihr allmählich die Sieger von den Besiegten zu unterscheiden? Versteht Ihr, wem es wirklich schlecht ergehen wird?«
    Der Botschafter bestätigte es mit einem Nicken.
    »Um aber den Sieg zu festigen und rechtlich abzusichern«, fuhr Leuvaarden, die Silben dehnend, nach einer Weile fort, »muss Frieden geschlossen werden. Schnell und um jeden Preis. Nicht irgendeine Kampfpause oder ein Waffenstillstand. Einschöpferischer Kompromiss. Eintracht, die aufbaut. Und die keine Wirtschaftsblockaden, Zollschranken und keinen Handelsprotektionismus einführt.«
    Shilard bestätigte auch diesmal mit einem Kopfnicken, dass er wusste, wovon die Rede war.
    »Wir haben nicht ohne Grund ihre Landwirtschaft vernichtet und ihre Industrie ruiniert«, fuhr Leuvaarden mit ruhiger, gedehnter und gleichmütiger Stimme fort. »Wir haben das getan, damit sie aus Mangel an eigenen Waren unsere kaufen müssen. Aber feindliche und geschlossene Grenzen können unsere Kaufleute und unsere Waren nicht überschreiten. Und was wäre dann? Ich will Euch sagen, was dann wäre, lieber Baron. Es tritt eine Überproduktionskrise ein, denn unsere Manufakturen arbeiten in Erwartung des Exports auf Hochtouren. Große Verluste würden auch die Seehandelsgesellschaften erleiden, die in Kooperation mit Nowigrad und Kovir gegründet worden sind. Eure einflussreiche Familie, lieber Baron, hält an diesen Gesellschaften erhebliche Anteile. Und die Familie, wie Ihr sicherlich wisst, ist die Grundzelle der Gesellschaft. Wisst Ihr das?«
    »Ich weiß.« Shilard Fitz-Oesterlen

Weitere Kostenlose Bücher