Die Dame vom See - Sapkowski, A: Dame vom See
dürsten ließ.
Yennefer schwieg. Yennefer schwieg viel in letzter Zeit.
»Jetzt«, sagte Ciri sehr ruhig, »reiten wir in ein Dorf namens Einhürne. Der Name stammt von einem die Ortschaft beschützenden Einhorn aus Stroh, einer lächerlichen, armseligen Puppe. Ich möchte, dass die Bewohner zur Erinnerung an das, was dort geschehen ist … nun, wenn schon kein wertvolleres, dann wenigstensein geschmackvolleres Totem bekommen. Ich zähle auf deine Hilfe, Yennefer, denn ohne Magie …«
»Ich weiß, Ciri. Was weiter?«
»Das Sumpfland des Pereplut. Ich hoffe, ich finde sie … eine Hütte inmitten der Sümpfe. In der Hütte werden wir die Überreste eines Mannes finden. Ich will, dass diese Reste in einem anständigen Grab ruhen.«
Geralt schwieg noch immer. Und wandte den Blick nicht ab.
»Dann«, fuhr Ciri fort, die seinem Blick ohne jede Mühe standhielt, »schauen wir in dem Weiler Dun Dâre vorbei. Die Schenke dort ist wahrscheinlich niedergebrannt worden, ich schließe nicht aus, dass der Wirt ermordet wurde. Durch meine Schuld. Hass und Rachsucht hatten mich geblendet. Ich werde aber versuchen, mich seiner Familie irgendwie dankbar zu erweisen.«
»Das«, sagte Geralt langsam und blickte sie noch immer an, »wird nicht möglich sein.«
»Ich weiß«, entgegnete sie sofort, fest, beinahe zornig. »Aber ich werde mich ihnen bußfertig stellen. Werde mir den Ausdruck ihrer Augen merken. Ich hoffe, dass mich die Erinnerung an diese Augen davor bewahren wird, einen ähnlichen Fehler zu machen. Verstehst du das, Geralt?«
»Ich verstehe, Ciri«, sagte Yennefer. »Beide, glaub uns, verstehen wir dich sehr gut, Töchterchen. Reiten wir.«
Die Pferde flogen dahin wie der Wind. Wie ein magischer Sturm. Vom Vorübereilen der drei Reiter alarmiert, hob ein Wanderer auf der Straße den Kopf. Den Kopf hoben ein Kaufmann auf seinem Wagen mit Waren, ein Verbrecher, der vor dem Gesetz floh, ein umherirrender Ansiedler, den Politiker von dem Land vertrieben hatten, wo er sich niedergelassen hatte, weil er anderen Politikern geglaubt hatte. Den Kopf hoben ein Vagabund, ein Deserteur und ein Pilger mit einem Wanderstab. Sie hobendie Köpfe, verwundert, erschrocken. Ohne recht zu wissen, was sie sahen.
In Ebbing und Geso begannen Geschichten zu kursieren. Von der Wilden Jagd. Von den drei Geisterreitern.
Ausgedacht und ausgesponnen wurden die Geschichten abends in nach geschmolzenem Schmalz und gerösteter Zwiebel riechenden Katen, in Bauernstuben, verräucherten Kasernen, Wirtshäusern, Weilern, Teerbrennereien, Waldhütten und Grenzposten. Es wurde erzählt, erfunden, ersonnen. Vom Krieg. Von Heldentum und Ritterlichkeit. Von Freundschaft und Rechtschaffenheit. Von Heimtücke und Verrat. Von treuer und wahrer Liebe, die immer triumphiert. Von Verbrechen und von der Strafe, die den Verbrecher immer ereilt. Von der Gerechtigkeit, die immer gerecht ist.
Von der Wahrheit, die wie eine Olive immer an die Oberfläche steigt.
Es wurde fabuliert, voller Freude am Fabulieren. Man genoss die märchenhafte Fiktion. Denn überall ringsum, im Leben, ging es völlig anders zu.
Die Legende wuchs. Die Zuhörer verschlangen in wahrer Trance, voller Emphase die Worte des Märchenerzählers, der vom Hexer und der Zauberin erzählte. Vom Schwalbenturm. Von Ciri, der Hexerin mit der Narbe im Gesicht. Von Kelpie, der verzauberten schwarzen Stute.
Von der Dame vom See.
Das kam später, Jahre später. Viele, viele Jahre später.
Doch schon jetzt keimte und wuchs die Legende in den Menschen wie ein vom warmen Regen aufgequollenes Samenkorn.
Irgendwann wurde es Mai. Zuerst in den Nächten, erhellt und funkendurchsprüht von fernen Belleteyn-Feuern. Als Ciri, sonderbar erregt, auf Kelpie sprang und zu den Feuern galoppierte, nutzten Geralt und Yennefer die Gelegenheit, die Augenblicke der Zweisamkeit. Nur so weit ausgezogen, wie es unbedingt notwendigwar, liebten sie sich auf einem am Boden ausgebreiteten Schaffell. Sie liebten sich eilig und selbstvergessen, schweigend, wortlos. Schnell und irgendwie. Hauptsache mehr und mehr.
Und als sie wieder zur Ruhe kamen, beide, zitternd und einander die Tränen wegküssend, waren sie des Staunens voll, wie viel Glück es ihnen bereitet hatte, sich irgendwie zu lieben.
»Geralt?«
»Ja, Yen.«
»Als ich … als wir nicht beieinander waren, warst du da mit anderen Frauen zusammen?«
»Nein.«
»Kein einziges Mal?«
»Kein einziges Mal.«
»Dir hat nicht einmal die
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