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Die Dame vom See - Sapkowski, A: Dame vom See

Die Dame vom See - Sapkowski, A: Dame vom See

Titel: Die Dame vom See - Sapkowski, A: Dame vom See Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrzej Sapkowski
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verstopft. Einen Moment lang trug die Menge sie mit wie ein Fluss, doch die Bewegung verebbte, als sie sich an der geschlossenen Mauer von Hellebardenträgern brach, die das Schafott umgab.
    »Sie kommen!«, schrie jemand, und die Menge begann zu lärmen, zu wogen und nahm den Ruf auf: »Sie kommen!«
    Das Hufgetrappel und das Poltern der Wagenräder ging unter und verschwand im Hornissengesumm der Menge. Ganz unerwartet erblickten sie daher den um eine Straßenecke biegenden zweispännigen Leiterwagen, und darauf stand, mit Mühe das Gleichgewicht haltend   …
    »Rittersporn   …«, ächzte Ciri.
    Geralt fühlte sich plötzlich schlecht. Sehr schlecht.
    »Das ist Rittersporn«, wiederholte Ciri mit fremd klingender Stimme. »Ja, das ist er.«
    Das ist ungerecht, dachte der Hexer. Das ist eine große undverdammte Ungerechtigkeit. Das kann nicht sein. So soll es nicht sein. Ich weiß, dass es dumm und naiv war, zu glauben, dass irgendwann irgendetwas von mir abgehangen habe, dass ich irgendwie die Geschicke dieser Welt beeinflusst hätte, dass diese Welt mir etwas schulde. Ich weiß, das zu glauben war naiv, ja arrogant   … Aber ich weiß es ja! Man braucht mich nicht davon zu überzeugen! Man braucht es mir nicht vor Augen zu führen! Schon gar nicht auf diese Weise   …
    Das ist ungerecht!
    »Das kann nicht Rittersporn sein«, sagte er tonlos, den Blick auf Plötzes Mähne gerichtet.
    »Das ist Rittersporn«, wiederholte Ciri. »Geralt, wir müssen etwas tun.«
    »Was?«, fragte er bitter. »Sag mir, was?«
    Büttel zogen Rittersporn vom Wagen, wobei sie ihn geradezu erstaunlich höflich behandelten, ohne Brutalität, mit so viel Reverenz, wie sie nur aufbringen konnten. Vor der aufs Schafott führenden Treppe wurden ihm die Fesseln an den Händen gelöst. Der Dichter kratzte sich nonchalant am Hintern und betrat, ohne gedrängt zu werden, die Treppe.
    Eine von den Stufen knackte plötzlich, und das aus einer entrindeten Stange gefertigte Geländer bog sich. Rittersporn hielt mit Mühe das Gleichgewicht.
    »Verdammt!«, schrie er. »Das muss repariert werden! Ihr werdet sehen, irgendwann bricht sich jemand auf dieser Treppe den Hals! Und dann habt ihr den Salat!«
    Auf dem Gerüst wurde Rittersporn von zwei Henkersknechten in Lederwämsen ohne Ärmel in Empfang genommen. Der Henker, in den Schultern breit wie eine Schlossbastei, betrachtete den Verurteilten durch die Löcher in der Kappe. Neben ihm stand ein Typ in reicher, wenngleich trauerschwarzer Kleidung. Auch sein Gesicht zeigte eine Leichenbittermiene.
    »Ehrenwerte Herrschaften und Bürger von Beauclair und Umgebung!«, las er laut und im Trauerton von einem ausgerolltenPergament ab. »Es wird kundgetan, dass Julian Alfred Pankraz Vicomte de Lettenhove alias Rittersporn   …«
    »Pankraz was?«, fragte Ciri flüsternd.
    »…   vom Hohen Fürstlichen Gericht aller Verbrechen, Vergehen und Übertretungen, deren er angeklagt ist, für schuldig befunden wurde, als da sind: Majestätsbeleidigung, Staatsverrat und darüber hinaus Befleckung der Ehre des Adelsstandes durch Meineid, Pasquillantentum, Verleumdung und üble Nachrede, fernerhin Herumtreiberei, Unanständigkeit sowie Debauche, das heißt Hurerei. Das Gericht hat daher beschieden, den Vicomte Julian
et cetera, et cetera
zu bestrafen,
primo
, durch Minderung seines Wappens mit einem schwarzen Schrägbalken auf dem Schild.
Secundo:
durch Konfiskation seiner Besitztümer, Ländereien, Güter, Haine, Wälder, Schlösser   …«
    »Schlösser«, ächzte der Hexer. »Was für Schlösser?«
    » Tertio:
die Hauptstrafe. Die für die aufgezählten Verbrechen vorgesehene Strafe durch Schleifen mit Pferden, Rädern und Vierteilen ist auf Beschluss unserer allergnädigsten Herrscherin Anna Henrietta, Allerdurchlauchtigsten Fürstin von Toussaint und Herrin auf Beauclair, zur Enthauptung mit dem Beil gemildert worden. Möge der Gerechtigkeit Genüge getan werden!«
    Aus dem Gedränge erschollen ein paar unartikulierte Rufe. Die in der ersten Reihe stehenden Weiber brachen in gespieltes Jammern und geheucheltes Wehklagen aus. Kinder wurden auf den Arm oder auf die Schultern genommen, damit sie nichts von dem Schauspiel verpassten. Die Henkersknechte schoben einen Klotz in die Mitte des Schafotts und bedeckten ihn mit einer Serviette. Es gab ein wenig Verwirrung, denn es erwies sich, dass jemand den Weidenkorb für den abgeschlagenen Kopf gemaust hatte, doch es wurde rasch ein anderer beschafft.
    Unter

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