Die Dame vom See - Sapkowski, A: Dame vom See
Stimme gezittert. Ich weiß also nicht, warum ich dir nicht glaube.«
»Ich habe immer nur an dich gedacht, Yen.«
»Jetzt glaube ich’s.«
Irgendwann wurde es Mai. Auch am Tage. Die Gänsedisteln sprenkelten die Wiesen gelb, die Bäume in den Gärten wurden flauschig und schwer von Blüten. Die Eichenhaine, zu würdevoll, um sich zu beeilen, blieben noch immer dunkel und kahl, doch schon überzogen sie sich mit grünem Schein, und an den Rändern leuchteten die grünen Flecken der Birken auf.
Eines Nachts, als sie in einem von Weiden bestandenen Talkessel kampierten, weckte den Hexer ein Traum. Ein Albtraum, in dem er gelähmt und wehrlos war und eine große graue Eule ihm mit den Krallen durchs Gesicht pflügte, mit dem spitzen krummen Schnabel seine Augen suchte. Er erwachte. Und war sich nicht sicher, ob er nicht aus einem Albtraum in den nächsten geraten war.
Über ihrem Lager ballte sich ein Lichtschein zusammen, derdie schnaubenden Pferde scheuen ließ. In dem Licht war etwas in der Art eines Innenraumes, etwas in der Form eines von schwarzen Kolonnaden gestützten Schlosssaales. Geralt sah einen großen Tisch, an dem zehn Gestalten saßen. Zehn Frauen.
Er hörte Worte. Wortfetzen.
… wirst sie uns zuführen, Yennefer. Wir befehlen dir …
Ihr könnt mir nicht befehlen. Ihr könnt ihr nicht befehlen!
Ihr habt keinerlei Macht über sie!
Ich habe keine Angst vor ihnen, Mama. Sie können mir nichts tun. Wenn sie wollen, gehe ich zu ihnen.
… versammelt sich am ersten Juni, bei Neumond. Wir befehlen euch beiden, euch einzufinden. Wir warnen euch, dass wir Ungehorsam bestrafen werden.
Ich werde sofort kommen, Philippa. Lass sie noch ein Weilchen bei ihm bleiben. Er soll nicht allein sein. Nur ein paar Tage. Ich werde sofort kommen. Als Unterpfand des guten Willens.
Erfülle meine Bitte, Philippa. Bitte.
Der Lichtschein begann zu pulsieren. Die Pferde schnaubten wild, stampften mit den Hufen.
Der Hexer erwachte. Diesmal wirklich.
Am Morgen darauf bestätigte Yennefer seine Befürchtungen. Nach einem langen und abseits geführten Gespräch mit Ciri.
»Ich gehe fort«, sagte sie trocken und ohne Einleitung. »Ich muss. Ciri bleibt bei dir. Noch eine Zeitlang. Dann werde ich sie rufen, und sie wird auch fortgehen. Und dann treffen wir uns alle wieder.«
Er nickte. Widerwillig. Er hatte es satt, sich ihr schweigend zu fügen. Mit allem einverstanden zu sein, was sie mitteilte, und mit allem, was sie entschied. Aber er nickte. Er liebte sie ja doch.
»Das ist ein Imperativ«, sagte sie sanft, »dem man sich nicht widersetzen kann. Aufschieben kann man es auch nicht. Das muss einfach geregelt werden. Ich tue das übrigens auch für dich. Zu deinem Besten. Aber hauptsächlich zum Besten Ciris.«
Er nickte.
»Wenn wir uns wieder treffen«, sagte sie noch sanfter, »werde ich dir alles vergelten, Geralt. Auch das Schweigen. Zu viel Schweigen, zu viel Stille war zwischen uns. Und jetzt, statt zu nicken, umarme und küsse mich.«
Er tat, wie ihm geheißen. Er liebte sie ja doch.
»Wohin jetzt?«, fragte Ciri trocken, kurz nachdem Yennefer im Aufblitzen eines ovalen Portals verschwunden war.
»Der Fluss …« Geralt hustete, um den atemberaubenden Schmerz hinter dem Brustbein zu überwinden. »Der Fluss, an dem wir stromauf reiten, ist der Sansretour. Er führt zu einem Land, das ich dir unbedingt zeigen will. Denn das ist ein Märchenland.«
Ciris Miene verfinsterte sich. Er sah, wie sie die Fäuste ballte.
»Alle Märchen«, sagte sie mit Nachdruck, »nehmen ein schlechtes Ende. Und Märchenländer gibt es überhaupt nicht.«
»Doch. Du wirst sehen.«
Es war einen Tag nach Vollmond, als sie Toussaint erblickten, in Grün und in Sonnenlicht gebadet. Als sie die Anhöhen sahen, die Hänge, die Weinberge. Die Turmdächer der Kastelle, die im morgendlichen Nieselregen glänzten.
Der Anblick enttäuschte nicht. Er machte Eindruck. Wie immer.
»Das ist aber schön«, sagte Ciri hingerissen. »Jechen! Diese Schlösser sind wie Spielzeug … wie die Zuckerdekoration auf einer Torte … Man möchte sie geradezu ablecken!«
»Der Architekt war kein geringerer als Faramond«, belehrte sie Geralt. »Warte, bis du den Palast und die Gärten von Beauclair aus der Nähe siehst.«
»Den Palast? Wir reiten zum Palast? Du kennst den hiesigen König?«
»Die Fürstin.«
»Diese Fürstin«, erkundigte sie sich missmutig, während sie ihn unter den Haaren hindurch aufmerksam
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