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Die Dame vom See - Sapkowski, A: Dame vom See

Die Dame vom See - Sapkowski, A: Dame vom See

Titel: Die Dame vom See - Sapkowski, A: Dame vom See Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrzej Sapkowski
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fortgetragen hat. Zeit, zu den Rudern zu greifen. Die ich hier übrigens nicht sehe.«
    »Weil es keine gibt.« Avallac’h hob die Hand, drehte sie, ließ die Finger nach außen schnellen. Das Boot hielt an. Einen Augenblick lang verharrte es am Ort, dann begann es gegen die Strömung zu schwimmen.
    Der Elf setzte sich bequemer hin, nahm die Flöte an die Lippen und widmete sich restlos der Musik.
     
    Am Abend lud sie der Erlkönig zum Abendessen. Als sie seideknisternd eintrat, bat er sie mit einer Geste zu Tisch. Es waren keine Diener da. Er bediente sie selbst.
    Das Abendessen bestand aus mehreren Arten Gemüse. Esgab auch Pilze, gekocht, gebraten und in einer Soße gedünstet. Solche Pilze hatte Ciri noch nie gegessen. Manche waren weiß und dünn wie Blätter, im Geschmack sanft und delikat, andere, braune und schwarze, waren fleischig und aromatisch.
    Auberon bewirtete sie auch mit roséfarbenem Wein. Scheinbar leicht, stieg er zu Kopfe, löste die Spannung und die Zunge. Ehe sie es sich versah, erzählte sie ihm Dinge, von denen sie niemals geglaubt hätte, dass sie sie erzählen würde.
    Er hörte zu. Geduldig. Ihr aber fiel plötzlich ein, zu welchem Zweck sie hier war, ihre Laune verdüsterte sich, und sie verstummte.
    »Wenn ich richtig verstanden habe« – er legte ihr ganz neue Pilze auf, grünlich und nach Eschlauch riechend   –, »glaubst du, dass dich mit diesem Geralt die Vorherbestimmung verbindet?«
    »Genau das.« Sie hob den Pokal, der schon zahlreiche Spuren ihrer geschminkten Lippen trug. »Die Vorherbestimmung. Er, das heißt Geralt, ist mir vorherbestimmt, und ich ihm. Unsere Schicksale sind verflochten. Darum wäre es besser, wenn ich fortginge. Sofort. Du verstehst?«
    »Ich gebe zu, nicht besonders.«
    »Die Vorherbestimmung!« Sie nahm einen Schluck. »Eine Kraft, der man sich lieber nicht in den Weg stellt. Darum denke ich   … Nein, nein, danke, leg mir nicht mehr auf, bitte, ich habe schon so viel gegessen, ich platze fast.«
    »Du erwähntest, dass du denkst.«
    »Ich denke, es wäre ein Fehler, mich hier festzuhalten. Und mich zu zwingen   … Nun, du weißt, was ich meine. Ich muss hier fort, ihm zu Hilfe eilen   … Denn meine Vorherbestimmung   …«
    »Vorherbestimmung«, unterbrach er sie und hob den Kelch. »Prädestination. Etwas Unvermeidliches. Ein Mechanismus, der bewirkt, dass eine praktisch unendliche Anzahl von unvorhersehbaren Ereignissen auf eine bestimmte Weise endet und nicht anders. Ja?«
    »Gewiss!«
    »Unabhängig von den Umständen und Bedingungen muss das Ergebnis eintreten. Was vorherbestimmt ist, muss geschehen. Ja?«
    »Ja!«
    »Wohin willst du dann gehen und wozu? Trink Wein, genieße den Augenblick, freu dich des Lebens. Was kommen muss, kommt sowieso, es ist unausweichlich.«
    »Von wegen. So glatt geht das nie.«
    »Du widersprichst dir also selbst.«
    »Tue ich nicht.«
    »Du widersprichst dem Widerspruch, und das ist schon ein falscher Kreisschluss.«
    »Nein!« Sie machte eine heftige Kopfbewegung. »Das kann nicht sein, dass man dasitzt und nichts tut! Nichts kommt von selbst!«
    »Haarspalterei.«
    »Man darf nicht sinnlos Zeit vergeuden! Man kann den richtigen Augenblick verpassen   … Den einzigen richtigen, unwiederbringlichen. Denn die Zeit wiederholt sich niemals!«
    »Erlaube.« Er stand auf. »Sieh dir das an.«
    An der Wand, auf die er zeigte, war ein hohes Relief zu sehen, das eine riesige geschuppte Schlange darstellte. Das Reptil, zu einer Acht gekrümmt, hatte die Zähne in den eigenen Schwanz geschlagen. Ciri hatte so etwas schon einmal gesehen, konnte sich aber nicht erinnern, wo.
    »Das«, sagte der Elf, »ist die uralte Schlange Uroboros. Der Uroboros symbolisiert die Unendlichkeit und ist selbst Unendlichkeit. Er ist das ewige Fortschreiten und die ewige Wiederkehr. Etwas, das weder Anfang noch Ende hat.
    Die Zeit ist wie der uralte Uroboros. Die Zeit ist der verstreichende Augenblick, ein Sandkörnchen, das in der Sanduhr herabfällt. Die Zeit sind die Momente und Ereignisse, mit denen wir sie so gern zu messen versuchen. Doch der uralte Uroboroserinnert uns daran, dass in jedem Moment, in jedem Augenblick Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft liegen. In jedem Augenblick liegt die Ewigkeit. Jeder Aufbruch ist zugleich eine Rückkehr, jeder Abschied eine Begrüßung, jede Rückkehr eine Trennung. Alles ist zugleich Anfang und Ende.
    Und auch du«, sagte er, ohne sie anzuschauen, »bist zugleich Anfang und Ende. Und da

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