Die Darwin-Kinder
– Viren, die Bakterien als Wirte benutzen –, die ihrerseits Gene von anderen, häufig auftretenden Darmbakterien mit sich führen, von Shigella. Zufällig codieren diese Gene das Shiga-Toxin. Der Austausch fügt der Kuh keinen Schaden zu, faszinierend, nicht? Aber wenn ein Raubtier irgendein Vieh in der freien Natur tötet und ihm in die Gedärme beißt – und das tun die meisten Raubtiere, sie fressen das halbverdaute Gras, man nennt das den Salat der Wildnis –, schluckt es jede Menge Kolibakterien voller Shiga-Toxin. Das kann das Raubtier wie auch uns sehr krank machen. Und kranke oder tote Raubtiere vermindern den Stress für das Vieh. Es ist ein ausgeklügeltes Druckventil.
Inzwischen sterilisieren wir unser Rindfleisch durch Bestrahlung. Das ganze Rindfleisch.«
»Ich persönlich esse niemals Fleisch, das nicht durchgebraten ist«, bemerkte Jurie und wölbte nachdenklich die Brauen. »Da treiben sich zu viele ungebundene Gene drin herum. Dr.
Miller, unser Chefbotaniker, hat mir allerdings gesagt, ich sollte mich auch beim Gemüse vorsehen.«
Orlin Miller hob die Hände, eine Geste kollegialer Selbstverteidigung.
»Die Vegetarier habens auch nicht besser.«
Sie betraten das zweite Gebäude, in dem das Vogelhaus und die Gehege für Reptilien und Amphibien untergebracht waren.
Auf Bänken neben der großen Schiebetür am Eingang standen gläserne Käfige mit Königsschlangen, die sich unter den roten Wärmelampen zusammengerollt hatten.
»Wir haben Beweise für einen langsamen, aber kontinuierlichen lateralen Fluss von Genen, von einer Spezies zur anderen«, erklärte Jurie. »Dr. Foresmith befasst sich mit dem Transfer von Genen zwischen exogenen und endogenen Viren bei Hühnern und Enten, aber auch bei den Psittaciformes, den Papageien.«
Foresmith, ein imposanter grauhaariger Mann Anfang fünfzig, früher Angehöriger des Massachusetts Institute of Technology – Dicken kannte ihn aufgrund seiner Arbeit über Bakterien mit Minimalgenomen –, griff das Thema auf.
»Grippe- und andere exogene Viren können innerhalb ihrer Wirte oder Bezugspopulationen Gene austauschen und rekombinieren«, sagte er mit dröhnendem Bass. »Früher kamen jedes Jahr neue Grippeviren aus Asien herüber.
Inzwischen wissen wir, dass exogene und endogene Viren –
Herpes, Pockenviren, HIV, SHEVA – in uns rekombinieren können. Was, wenn diese Viren einen Fehler machen? Wenn sie ein Gen an der falschen Stelle in die DNA einer Zelle einschieben? Dann beginnt die Zelle, ihre Aufgaben zu missachten und gerät außer Kontrolle. Voilà, ein bösartiger Tumor. Oder es kann passieren, dass ein relativ harmloses Virus ein kritisches Gen erwirbt und dadurch aus einer latenten Infektion eine akute wird. Ein wirklich großer Fehler – und peng!« – er klatschte mit der Faust in die Handfläche,
»hundertprozentig tödliche Konsequenzen.« In seinem Lächeln lag ebenso viel Bewunderung wie Nervosität. »Einer unserer Paläontologen glaubt sogar, dass wir auf diese Weise einen Großteil des Artensterbens erklären können, jedenfalls theoretisch. Falls wir die älteren, außerordentlich degenerierten ERVs zum Leben erwecken und wieder zusammensetzen könnten, würden wir vielleicht erfahren, was den Dinosauriern wirklich zugestoßen ist.«
»Nicht so schnell«, sagte Dicken und streckte kapitulierend die Hände hoch. »Ich habe keine Ahnung von Dinosauriern oder gestressten Kühen.«
»Lassen Sie uns die kühnen Theorien einstweilig zurückstellen«, riet Jurie Foresmith, aber seine Augen funkelten dabei. »Tom, Sie sind als Nächster dran.«
Tom Wrigley, der Jüngste der Gruppe, war Mitte zwanzig, groß, dunkelhaarig und wirkte mit seiner roten Nase und dem stets freundlichen Gesichtsausdruck einfach und nett. Er lächelte schüchtern und reichte Dicken eine Münze, ein 25
Cent-Stück. »So viel etwa kostet eine Antibabypille. Meine Gruppe befasst sich mit der Wirkung der Geburtenkontrolle auf die Expression endogener Retroviren bei Frauen im Alter zwischen zwanzig und fünfzig Jahren.«
Dicken rollte das Geldstück in der Hand hin und her. Als Tom ihm die Hand hinstreckte und die Augenbrauen hochzog, gab er ihm die Münze zurück.
»Erzählen Sie ihm auch, warum«, forderte Jurie Wrigley auf.
»Vor zwanzig Jahren haben Wissenschaftler herausgefunden, dass sich schwangere Frauen häufiger mit HIV infizieren.
Manche HERVs sind eng verwandt mit HIV, das bekanntlich unser Immunsystem angreift. Der Fötus innerhalb der
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