Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Darwin-Kinder

Die Darwin-Kinder

Titel: Die Darwin-Kinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
Vom Netzwerk:
zwischen Schlingpflanzen und Gärten im Lagerhaus zurückblieben.
    Das Vorstellungsgespräch war beendet.
    Turner geleitete Dicken durch den Zoo, die Fußbäder und die Gänge bis zur Stahltür. Am Hausmeisterbüro machten sie Halt, um den Schlüssel zu Dickens Zimmer im Wohnheim abzuholen.
    »Sie haben das Treffen mit dem Alten überlebt«, stellte Turner fest. Nachdem er Dicken den Weg zu dem Wohnheimflügel gezeigt hatte, in dem die Neuankömmlinge untergebracht wurden, hielt er einen Schlüssel hoch, drückte auf das Etikett, sodass es von Rot zu Blau wechselte, und ließ ihn in Dickens Handfläche gleiten. Peinlich lange starrte er Dicken an, bis er schließlich sagte: »Viel Glück.«
    Während Turner den Rückweg antrat, schüttelte er den Kopf und rief Dicken über die Schulter zu: »Mein Gott!
    Jungfernhäutchen. Was kommt als Nächstes?«
    Dicken machte die Zimmertür hinter sich zu, schaltete die Deckenlampe ein und setzte sich auf das saubere, ordentlich gemachte Bett. Benommen von den unterdrückten Emotionen, rieb er sich mit zitternden Fingern über die Schläfen und die Kiefermuskeln.

    Zum ersten Mal bestand die Beute, auf die Dicken es abgesehen hatte, nicht aus Mikroben.
    Es war zwar eine Seuche, aber eine ganz und gar menschliche.

    10
    Arizona

    Stella erwachte von den Klängen eines Liederwettstreits, der mit Ober- und Unterstimmen zwischen den Wohnheimen ausgetragen wurde. Die Glocke, die sie alle morgens weckte, hatte noch nicht geschlagen. Sie wälzte sich zwischen den gestärkten weißen Laken im obersten Etagenbett herum und starrte auf die Deckenfliesen. Das Ritual war ihr vertraut: Einige Dutzend Mädchen und Jungen hingen jetzt aus den Fenstern ihrer Wohnheime heraus und sangen einander über den Stacheldrahtzaun hinweg etwas vor. Die Oberstimme war dabei laut und hatte fast keine Melodie; dagegen war die Unterstimme subtil und von dort aus, wo sie lag, nicht deutlich zu hören. Allerdings war ihr klar, dass mit dieser Unterstimme viel frühmorgendlicher Klatsch übermittelt wurde.
    Sie schloss einen Augenblick die Augen und hörte zu. Die Sängerinnen und Sänger in den Wohnheimen neigten dazu, in herb-liebliches, welterschütterndes Wehklagen auszubrechen, indem sie die Töne auf beiden Seiten ihrer gespaltenen Zungen herausquetschten und dabei gleichzeitig durch Mund und Nase atmeten. Die beiden Ströme des Gesanges flossen kontrapunktisch, verwoben sich miteinander, um sich gleich darauf wieder voneinander zu trennen. Diese Gesangstechnik zielte darauf ab, dass keine der Aufsichtspersonen den Inhalt mitbekam.
    Allerdings hatten die Betreuerinnen ja noch nicht einmal herausgefunden, was es mit dem Unterton auf sich hatte.
    Als Stella lautes Scheppern hörte, machte sie die Augen zu und grinste. Sie konnte alles überaus deutlich vor sich sehen: Jetzt ging die Aufsicht durch die Unterkünfte, schlug zwei Mülleimerdeckel aus Metall gegeneinander und brüllte, die Kinder sollten sofort mit dem Unsinn aufhören. Nach und nach verloren sich die Lieder in der Ferne, wie zarte Luftströme.
    Stella malte sich aus, wie sich die Köpfe von den Fenstern zurückzogen, wie die Sängerinnen und Sänger zu ihren Etagenbetten huschten und unter die Bettdecken schlüpften.
    Morgen würden andere Wohnheime die Sache übernehmen.
    Es war wie eine Lotterie: Sie versuchten vorherzusagen, wie lange die Aufsicht brauchen würde, um von den Personalunterkünften bis zu den Wohnheimen der Missetäter vorzudringen, und wie lange man sie an der Nase herumführen konnte, bis sie merkten, welche Gebäude es überhaupt waren.
    Es konnte auch passieren, dass Stellas Wohnheim spontan mitmachte und ebenfalls erlebte, wie die Aufsicht mit Mülleimerdeckeln zuschlug. Stella würde dann mitsingen, worauf sie sich keineswegs freute. Sie hatte eine hohe, klare Oberstimme, musste an der Unterstimme aber noch arbeiten.
    Sie tat sich damit nicht so leicht wie die anderen.
    Als wieder morgendliche Stille eingezogen war, sank sie unter die Bettdecke und wartete auf die Glocke, die zum Aufstehen rief. Auf jedem Ende der dreistöckigen Betten lagen frische Uniformen. Jeder Morgen begann für die Kinder damit, dass sie duschten und die Kleidung wechselten, damit sich ihr Geruch nicht auf dem Körper oder in der Kleidung festsetzte.
    Stella wusste, dass ihr natürlicher Geruch Menschen nicht lästig in die Nase stach. Was die Lehrer und Leiter des Lagers störte, war der manipulierende Duft, den die Kinder produzieren

Weitere Kostenlose Bücher