Die Darwin-Kinder
nach. »In den Wolken ist jeder frei, aber man kooperiert miteinander. Wenn jemand anderer Meinung ist, hält er den Gedanken so lange zurück, bis der richtige Zeitpunkt da ist. Und dann hören die Wolken zu. Es kann auch gelegentlich, in einem Notfall, vorkommen, dass derjenige den Gedanken sofort vorbringt, aber das bremst uns alle. Es muss schon einen guten Grund geben.«
»Und du bist gern in der Wolke?«
»In den Wolken«, berichtigte Stella. »Alle Wolken sind Teil voneinander, vereinfacht gesagt. Wir klären Meinungsverschiedenheiten und solche Dinge später, wenn die Deme sich damit befassen. Allerdings haben wir nur selten Gelegenheit dazu, deshalb wissen die meisten von uns auch gar nicht richtig über solche Fragen Bescheid. Wir stellen es uns nur so vor. Manchmal lassen die Betreuerinnen es allerdings zu.«
Sie verriet Mitch nicht, dass nach solchen Vorfällen fast alle in die Klinik verfrachtet wurden, wo man den Kindern Proben entnahm.
»Klingt ja nach sehr freundschaftlichem Umgang«, sagte Mitch.
»Manchmal gibt es auch Hass«, entgegnete Stella nüchtern.
»Auch damit müssen wir fertig werden. Eine Wolke kann genauso Schmerz empfinden wie eine einzelne Person.«
»Weißt du, was ich im Augenblick empfinde?«
»Nein. Dein Gesicht ist irgendwie leer.« Sie lächelte. »Die Betreuerinnen riechen wie Kohl, wenn wir etwas Unerwartetes tun. Als wir uns vor ein paar Tagen erkältet haben, rochen sie wie Brokkoli.
Jetzt bin ich nicht mehr erkältet, es war auch nichts Ernstes, wir haben uns nur kränker gestellt, als wir wirklich waren, um ihnen Angst einzujagen.«
Mitch lachte. Die Mischung aus Auflehnung und trocken geäußerter Überlegenheit, die sich bei den Intonationen überkreuzte, belustigte ihn. »Das ist ja toll«, sagte er. »Aber ihr dürft’s nicht übertreiben.«
»Das ist uns klar«, erwiderte Stella schroff – und plötzlich fand Mitch Kaye in ihrem Mienenspiel wieder. Er spürte einen Anflug von ehrlichem Stolz darüber, dass diese junge Frau trotz allem immer noch das Kind war, das Kaye und er gezeugt hatten, das von ihnen abstammte. Ich hoffe, das behindert sie nicht.
Außerdem verspürte er plötzlich auch starke Sehnsucht nach Kaye.
»Ist es im Gefängnis so wie hier?«, fragte Stella.
»Na ja, im Gefängnis ist es sogar noch ein bisschen härter als hier.«
»Warum bist du jetzt nicht mit Kaye zusammen?«
Mitch fragte sich, wie um alles in der Welt er ihr das erklären sollte. »Als ich im Gefängnis war… hat sie eine schwere Zeit durchgemacht und schwierige Entscheidungen getroffen. Mich musste sie bei diesen Entscheidungen außen vor lassen.
Deshalb sind wir zu dem Schluss gekommen, dass wir mehr bewirken können, wenn wir getrennt arbeiten. Wir… konnten keine Wolke bilden, würdest du wohl sagen.«
Stella schüttelte den Kopf. »Nein, dass würden wir einen Pass nennen, so als wenn Regentropfen aufeinander treffen.
Wenn die Tropfen wieder auseinander fallen, nennen wir das ein Abgleiten. Wolken sind etwas Größeres.«
»Oh. Und wie viele Wörter habt ihr für Schnee?«
Stellas Miene war ein einziges Fragezeichen, sodass Mitch seine Tochter einen Augenblick lang so sah, wie sie noch vor zehn Jahren gewesen war. In diesem Moment hatte er sie unglaublich lieb. »Deine Mutter und ich reden alle paar Wochen miteinander. Sie ist derzeit sehr beschäftigt und arbeitet in Baltimore. An wissenschaftlichen Dingen.«
»Und versucht, uns in Menschen zurückzuverwandeln?«
»Du bist ein Mensch.« Mitchs Gesicht lief rot an.
»Nein«, sagte Stella, »das sind wir nicht.«
Mitch entschied, dass dies weder der richtige Zeitpunkt noch der richtige Ort war, um es auszudiskutieren. »Sie versucht herauszufinden, auf welche Weise wir neuartige Kinder erzeugen. Die Sache ist nicht so einfach, wie wir dachten.«
»Virus-Kinder«, sagte Stella.
»Na ja, wenn ich es richtig verstehe, spielen Viren alle möglichen Rollen. Das haben wir erst entdeckt, als wir uns mit SHEVA befasst haben. Und jetzt… herrscht ein ziemliches Durcheinander.«
Falls Stella überhaupt eine Reaktion zeigte, dann fühlte sie sich durch Mitchs Bemerkung offenbar gekränkt. »Wir sind gar keine neue Art?«
»Selbstverständlich seid ihr neuartig. Ich verstehe wirklich nicht besonders viel davon. Wenn wir alle wieder zusammen sind, wird deine Mutter genügend wissen, um es uns beiden zu erklären. Sie lernt ständig dazu, so schnell sie nur kann.«
»Wir haben hier gar keinen
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