Die Darwin-Kinder
rechts nach links schwenkten.
Als Ellie an der Reihe war, rannte sie davon und nahm an einem Tisch mit Jungen Platz, mit denen sie, soweit Stella wusste, noch nie zuvor gesprochen hatte. So viel zu Ellies Schüchternheit. Gleich darauf war Stella an der Reihe und natürlich – was auch immer sie zuvor gedacht haben mochte –
ging sie auf den Tisch zu, an dem Will mit zwei kleineren Jungen saß.
Will hatte sich über den Tisch gebeugt und musterte die alten Essensflecke. Die beiden Kleineren, die jünger waren, beobachteten mit einigem Interesse, wie Stella näher kam und gaben einander durch Wangentupfen Zeichen. Stella glaubte, einige mit Unterstimme geäußerte Bemerkungen zu hören, aber das war aus der Entfernung nicht sicher zu sagen. Als Will aufblickte, schien er sie nicht zu erkennen.
Stella war das einzige Mädchen, das sich zu ihnen an den Tisch setzte. Nachdem sie die beiden Jüngeren kurz begrüßt hatte, wandte sie ihre Aufmerksamkeit Will zu, der das Gesicht in die Hände stützte. Seine Wangenmuster konnte sie deshalb nicht sehen, allerdings fiel ihr auf, dass sein Hals sich verfärbte.
»Er ist bei uns im Wohnheim«, sagte der kräftige, aber kleinwüchsige Junge rechts von Will, der Jason oder James hieß. Mit Philip, der links von Will saß, hatte Stella vor drei Wochen zusammengesessen. Er war durchaus nett, aber sie hatte schnell gemerkt, dass sie mit ihm keine Wolke bilden wollte. Weder Jason/James noch Philip rochen richtig. Als Gruß übermittelte sie Philip ein Schmetterlingsmuster, das freundlich, aber nicht offen für weitere Kontakte wirkte, und bat ihn damit gleichzeitig, ihr das nicht übel zu nehmen.
»Warum hast du dich dann überhaupt hierher gesetzt?«, fragte Philip und runzelte die Stirn. »Will sonst niemand hier sitzen?«
»Weil ich mit ihm reden möchte.« Stella konnte nicht besonders gut mit Jungen umgehen, allerdings konnten das die wenigsten Mädchen. Es gab unausgesprochene, nirgendwo niedergeschriebene Regeln, die sie erst noch für sich entdecken musste. Und die Art, wie die Begegnung der Geschlechter im Lager gehandhabt wurde, machte diese Regeln keineswegs deutlicher.
»Der redet nicht viel«, erklärte Jason/James.
»Die Mädchen hier treiben gern Spielchen«, sagte Philip voller Groll.
»Ist noch gar nichts gegen die Spielchen, die menschliche Mädchen treiben«, murmelte Will und sah zu Stella empor.
Der Blick war zwar kurz, aber Stella merkte, dass er sich noch an ihre letzte Begegnung erinnerte. »Sie schneiden einen wie Messer. Und man weiß nie, warum.«
»Stimmt«, sagte Philip. »Will hat ja unter den Wilden gelebt.« Jason/James kicherte und machte eine Geste, die Stella nicht deuten konnte: Er verschränkte die Finger miteinander.
»Vorübergehend«, berichtigte Will.
»In den Wäldern?« In Stella flackerte ein Fünkchen Hoffnung auf.
»Was?«
»Die haben ihn gründlich geschrubbt, ehe er zu uns ins Wohnheim kam«. Philip war plötzlich mitteilsam. »Seine Haut war von der Seife ganz rot.«
»Bist du bei deinen Eltern geblieben?« Will blickte auf und ließ sie seine Wangen sehen, die dunkel und wund waren und keine Muster aufwiesen. Der größte Teil seines Halses und Gesichts war gerötet und aufgesprungen. Stella atmete seinen Duft nur so weit ein, wie es die Höflichkeit unter diesen Umständen erlaubte. Immer noch haftete der Geruch von Lysol und Seife an seiner Haut und Kleidung.
»Nur ein paar Tage«, erwiderte sie. »Ich bin krank geworden.«
»Ich hab die Krätze verpasst«, erklärte Will und berührte eine Stelle zwischen seinen Fingern. Untereinander nannten die Kinder die Krankheit, die so viele von ihnen das Leben gekostet hatte, Krätze oder die Qual.
»Wir wechseln zu einem anderen Tisch«, erklärten Jason/
James und Philip fast wie aus einem Mund. »Euch zwei lässt man am besten allein«, fügte Philip schroff hinzu. »Das haben wir gemerkt.«
Stella wollte sie eigentlich auffordern zu bleiben, aber da Will nur mit den Achseln zuckte, tat sie es ihm nach. »Sie verstoßen gegen die Regeln«, bemerkte sie, nachdem die beiden gegangen waren.
»Sie können sich ja einen Tisch suchen, an dem zu wenig Jungen sitzen. – In den Wohnheimen legen sie Regeln fest, die irgendwas mit Demen zu tun haben. Was sind Deme?«
»Familien, neue Familien. Wir versuchen herauszufinden, wie sie aussehen werden, wenn wir erwachsen sind.«
Als Will sie erneut ansah, wich Stella seinem Blick aus und legte die Hände über die Wangen.
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