Die Darwin-Kinder
von Joanie hin kletterte das Mädchen im obersten Etagenbett – Julianne Nicorelli, sie gehörte nicht zu Stellas Dem – auf den Boden hinunter. Sie wirkte zwar besorgt, aber noch nicht verängstigt. Manchmal führten die Betreuerinnen und Lehrerinnen im Lager Übungen durch, seltsame Übungen, ohne dass den Kindern vorher verraten wurde, was sie erwartete.
Joanie drehte sich um und kam zielbewusst auf Stellas Bett zu. Hastig glitt Stella hinunter, ohne die Leiter zu benutzen, und strich ihr Nachthemd, das ihr über die Knie gerutscht war, wieder glatt. Sie legte die Hände über die Brust, da das Nachthemd leicht durchsichtig war und sie es gar nicht mochte, wie die Männer sie anstarrten.
»Du auch, Stella.« Zischend und hohl drang Joanies Stimme durch den Schutzhelm. »Wir machen eine Reise.«
»Wie viele von uns?«, fragte Celia.
Joanie lächelte humorlos. »Es ist eine besondere Reise. Eine Belohnung für gute Noten und gutes Betragen. Die übrigen frühstücken heute früher als sonst.«
Joanie log: Julianne Nicorelli hatte furchtbar schlechte Noten.
Aber darum kümmerte sich niemand.
28
Baltimore
»Kopf hoch, Marge wird in zwanzig Minuten hier sein«, sagte Liz Cantrera. »Sind Sie bereit?«
»Bereiter geht’s nicht«, erwiderte Kaye, holte tief Luft und blickte sich im Labor um, weil sie sehen wollte, ob es noch irgendetwas wegzuräumen oder zu reinigen gab. Nicht, dass es eine Rolle gespielt hätte: Es war sowieso ihr letzter Tag.
»Sie sehen gut aus«, sagte Liz traurig und zog Kayes Revers glatt.
Marge Cross kannte sich in den nie ganz aufgeräumten Heimstätten der Wissenschaft aus und Kaye bezweifelte, dass sie mit der Absicht kam, ihre Haushaltsführung zu begutachten.
Wenn Cross mit Kaye zusammen war, wirkte sie fast immer fröhlich. Sie schien Kaye zu mögen und ihr so weit zu vertrauen, wie sie überhaupt irgendeinem Menschen vertraute.
Diesmal jedoch sagte Cross nur wenig, legte den Finger an die Lippen und nickte. Gleich darauf hob sie den Kopf, um die Röhren zu mustern, die von der Zimmerdecke hingen, und schien danach eingehend eine Reihe roter Schilder zu begutachten, die von verschiedenen Druckleitungen herunterbaumelten.
Heute hatte sie nur drei Leute in ihrem Tross: zwei gut aussehende Männer in anthrazitfarbenen Anzügen und eine schlanke junge Frau, blond, mit langem dünnem Haar und Stupsnase. Während die Männer Notizen auf einem Handcomputer festhielten, fotografierte die junge Frau mit einer Kamera, die nicht größer als ein Kugelschreiber war.
Liz hielt sich bewusst im Hintergrund und überließ Kaye das Heft des Handelns. Sie führte alle kurz durchs Labor, wobei ihr sehr wohl klar war, dass hier eine Inventur stattfand, um die Übergabe der Abteilung an eine neue Leitung oder aber die komplette Schließung vorzubereiten.
»Wir haben verloren«, sagte Cross. »In allem ist der Wurm drin – in allem, was das Unternehmen gemäß dem Auftrag der Regierung und der Menschen vorantreiben sollte«, fügte sie leise hinzu und biss sich auf die Unterlippe. »Wie ich höre, haben Sie diese Woche in Washington eine gute Figur gemacht.« Sie musterte Kaye mit der Andeutung eines Lächelns.
»Es ist ganz gut gelaufen, ja.« Kaye wandte den Blick ab und zuckte mit den Achseln. »Rachel Browning hat versucht, mir die Hosen herunterzuziehen.«
»Und, hatte sie Erfolg?«
»Ja, bis zur Höhe der Schamhaare.«
Die jungen Männer schienen bereit, schockiert zu wirken, falls Cross schockiert reagierte. Aber sie lachte nur. »Mein Gott, Kaye, ich weiß nie, was ich als Nächstes von Ihnen zu hören bekomme. Sie treiben meine PR-Leute in den Wahnsinn.«
»Deshalb bemühe ich mich ja auch, mit gesenktem Kopf herumzulaufen und die Klappe zu halten.«
»Wir haben keinerlei Erkenntnis darüber gewonnen, wie SHEVA zu stoppen ist«, sagte Cross nachdenklich, während sie weiterhin die Röhren an der Decke musterte.
»Stimmt«, erwiderte Kaye.
»Und Sie freuen sich darüber.«
Wieder einmal hatte Kaye das Gefühl, dass es nicht an ihr sein konnte, darauf zu antworten. Sie trug nicht nur sich selbst, sondern auch anderen gegenüber eine Verantwortung.
»Auch bei La Robert klappt nichts, nur will er’s nicht zugeben«, sagte Cross und gab den anderen im Labor einen Wink. »Zeit zu gehen, Kinder. Lasst uns hochheilige Ungetüme ein Weilchen allein.«
Während die jungen Männer hintereinander aus dem Zimmer marschierten, bemühte sich die schlanke Blonde, Cross an weitere
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