Die Darwin-Kinder
genauso dumm und genauso mutig, wie Sie selbst es gewesen sind. Ich habe meine Unternehmen in ein Experimentierfeld der Politik und der menschlichen Geschichte verwandelt. Wir sind uns sehr ähnlich, nur hatte ich nie die Gelegenheit – ehrlich gesagt auch nicht die Lust –, meinen eigenen Körper in die Waagschale zu werfen. Und jetzt müssen wir uns beide der Tatsache stellen, dass wir das, was wir am meisten lieben, verlieren werden.«
Cross drehte sich um und ließ ihre Notizen mit einem Tastendruck von den Projektionsflächen verschwinden, während sich ihr Gesicht angeekelt verzog. »Alles nur Mist.
Dieser Raum ist reine Geldverschwendung. Zwangsläufig nimmt man an, dass der Architekt, wer immer es auch war, wusste, was er tat, alle Antworten parat hatte. Diese Architektur ist verlogen, ich hasse diesen Raum. Alles, was ich gerade gelöscht habe, war Geschwafel. Lassen Sie uns anderswo hingehen.« Cross war sichtlich wütend.
Kaye faltete behutsam die Hände. Im Augenblick hatte sie keine Ahnung, was als Nächstes passieren würde.
»Einverstanden«, erwiderte sie. »Wohin?«
»Keine Limousinen. Lassen Sie uns den Luxus für ein paar Stunden vergessen und zu den Stühlchen, Keksen und Milchtüten zurückkehren.« Cross lächelte hinterhältig, sodass ihre kräftigen, gleichmäßigen, aber leicht verfärbten Zähne sichtbar wurden. »Nichts wie raus aus dem Gebäude.«
Als sie durch die Glastüren auf die Straße traten, empfing sie trübes, diffuses Licht. Cross winkte ein Taxi herbei.
»Ihre Wangen sind rosa angelaufen«, teilte sie Kaye mit, während sie auf dem Rücksitz Platz nahmen. »Als wollten sie etwas sagen.«
»Das kommt immer noch vor«, gestand Kaye leicht verlegen.
Cross nannte dem Taxifahrer eine Adresse, die Kaye nicht bekannt vorkam. Der grauhaarige Mann, ein Sikh mit weißem Turban, blickte über die Schulter nach hinten. »Ich brauche zuerst Ihre Kreditkarte.«
Als Cross nach ihrer Gürteltasche greifen wollte, erklärte Kaye: »Das geht auf mich.« Nachdem sie dem Fahrer ihre Karte gereicht hatte, fuhr er los und fädelte sich in den Verkehr ein.
»Wie war das damals, als Sie solche Wangenmuster hatten?
Funktionierten die wie Anzeigetafeln?«, fragte Cross.
»Es war eine ganz neue Erfahrung. Als meine Tochter noch klein war, haben wir uns durch unsere Wangenmuster verständigt. Es war so, als würde ich ihr das Sprechen beibringen. Als die Muster blasser wurden, haben sie mir regelrecht gefehlt.«
Cross, die Kaye fasziniert beobachtet hatte, zuckte leicht zusammen. »Ich habe mit fünfundzwanzig erfahren, dass ich keine Kinder bekommen würde. Eileiterentzündung. Ich war damals ein großes, stämmiges Mädchen, recht unbeholfen, und tat mich schwer damit, Männer kennen zu lernen. Mir blieb nichts anderes übrig, als jede Gelegenheit zu nutzen, und einer dieser Männer… Nun ja. Kinder waren nicht mehr drin. Und ich hab mich nie dazu entschließen können, den Schaden beheben zu lassen. Denn nie ist irgendein Mann aufgetaucht, dem ich es zugetraut hätte, Vater meiner Kinder zu werden. Ich habs recht früh zu Wohlstand gebracht, und die Männer, die mich interessierten, waren in der Regel wie nette Spielzeuge.
Arm, sehr darauf aus, mir zu gefallen, und nicht besonders zuverlässig.«
»Das tut mir Leid.«
»Sublimierung ist der innere Kern aller Leistung«, bemerkte Cross. »Ich kann nicht behaupten, ich wüsste, was es heißt, Mutter zu sein. Ich kann es nur mit dem vergleichen, was ich für meine Firmen empfinde, obwohl es sich wahrscheinlich gar nicht vergleichen lässt.«
»Vermutlich nicht.«
Cross schnalzte mit der Zunge. »Hier geht es nicht um Gelder oder um die Frage Ihrer Entlassung – um nichts, das derart einfach wäre. Wir sind beide Frauen mit Forschungsgeist.
Schon aus diesem Grund sollten wir offen und ehrlich miteinander umgehen.«
Kaye, die aus dem Taxifenster sah, schüttelte belustigt den Kopf. »Das wird nicht gehen, Marge. Schließlich sind Sie immer noch reich und mächtig. Und immer noch meine Chefin.«
»Na ja, hols der Teufel«, erwiderte Cross mit gespielter Enttäuschung und schnippte mit den Fingern.
»Aber das macht vielleicht gar nicht viel aus«, fuhr Kaye fort. »Ich bin noch nie besonders gut darin gewesen, meine wahren Gefühle zu verbergen, wie Sie möglicherweise schon bemerkt haben.«
Cross machte ein Geräusch, das zu exaltiert war, um als Lachen durchzugehen, vermutlich war es auch kein Kichern, aber es klang auf
Weitere Kostenlose Bücher