Die Darwin-Kinder
wunderliche Weise würdevoll. »Sie haben doch von Anfang an Ihr Spielchen mit mir getrieben.«
»Sie wussten, dass ich das tun würde.«
Cross strich ihr über die Wange. »Sprechende Muster.« Als Kaye mit Verwirrung reagierte, fuhr sie fort: »Wie kann etwas so Wunderbares ein Webfehler der Natur, eine Krankheit sein?
Wenn ich Fieberdüfte produzieren könnte und damit andere manipulieren, würde ich inzwischen jedes Unternehmen in diesem Lande leiten.«
»Das würden Sie gar nicht wollen, wenn Sie eines der Kinder wären.«
»Und wer ist jetzt die Naive von uns beiden? Glauben Sie etwa, die hätten unsere Affen-Egos hinter sich gelassen?«
»Nein. – Wissen Sie, was ein Dem ist?«
»Deme sind soziale Gruppierungen, zu denen sich einige SHEVA-Kinder zusammenschließen.«
»Was ich damit sagen will, ist Folgendes: Es mag ja vorkommen, dass ein Dem Raffgier zeigt, aber niemals ein Individuum. Und wenn ein Dem Fieberdüfte produziert, dann können wir minder entwickelten Affen einpacken.«
Cross lehnte den Kopf zurück, um das zu verdauen. »Davon habe ich schon gehört.«
»Kennen Sie irgendein SHEVA-Kind?«, fragte der Fahrer und sah sie im Rückspiegel an. Ohne die Antwort abzuwarten, fuhr er fort: »Meine Enkelin ist SHEVA-Mädchen und lebt in Peshawar. Ist bezauberndes Mädchen, wirklich bezaubernd. Ist ganz unheimlich«, fügte er mit fröhlichem Stolz und breitem Grinsen hinzu. »Wirklich unheimlich.«
29
Arizona
Stella saß mit Julianne Nicorelli in einem kleinen beige gestrichenen Zimmer der Klinik. Joanie hatte sie von den anderen Mädchen weggeholt. Schon seit zwei Stunden warteten sie hier in der abgestandenen Luft. Steif wie Ladestöcke saßen sie auf ihren Stühlen und beobachteten eine Fliege, die am Fenster entlangkrabbelte.
Immer noch roch es hier penetrant nach Erdbeeren – ein Geruch, den Stella früher einmal geliebt hatte.
»Ich fühle mich schrecklich«, sagte Julianne.
»Ich auch.«
»Auf was warten die überhaupt?«
»Irgendwas ist schief gelaufen! Die haben einen Fehler gemacht.«
Julianne scharrte mit den Füßen auf dem Boden herum. »Tut mir Leid, dass du nicht zu meinem Dem gehörst.«
»Macht doch nichts.«
»Lass uns ein eigenes Dem gründen, direkt hier. Wir werden uns verstehen! Wir werden uns mit jeder anderen Gefangenen zusammentun, die zu uns stößt.«
»Einverstanden.«
Julianne rümpfte die Nase. »Es stinkt so grässlich! Ich glaube, ich kann mich selbst nicht riechen.«
Ihre Stühle standen fast zwei Meter auseinander. Der Abstand war ein Akt der Höflichkeit, denn die Nervosität und Angst, die beide Mädchen ausdünsteten, konnte selbst der ekelerregende Erdbeerduft nicht überlagern. Als Julianne aufstand und die Hand ausstreckte, beugte Stella den Kopf zur Seite und strich ihr Haar so zurück, dass die Haut hinter dem Ohr frei lag. »Fang an.«
Julianne berührte die Haut und die wächsernen Absonderungen hinter dem Ohr, rieb sie sich unter die Nase und schnitt eine Grimasse. Danach senkte sie den Finger und fitzte – das bedeutete, dass sie die Oberlippe zurückschob und die Luft über dem Finger in den Mund saugte.
»Uuuh«, machte sie, aber es war keineswegs verächtlich gemeint. Sie schloss die Augen. »Mir geht’s schon besser, dir auch?«
Stella nickte. »Willst du die Mutter des Dems sein?«
»Spielt keine Rolle. Wir sind sowieso nicht beschlussfähig.«
Plötzlich wirkte Julianne beunruhigt. »Vermutlich überwachen die uns und zeichnen alles auf.«
»Gut möglich.«
»Ist mir egal. Du bist dran.«
Stella berührte die Haut hinter Juliannes Ohr, die recht warm, fast schon heiß war. Julianne produzierte Fieberdüfte und bemühte sich krampfhaft, Fühlung mit Stella aufzunehmen, um sie einerseits auf höfliche Weise in ihrem Sinne zu beeinflussen und andererseits eine Beziehung zu ihr aufzubauen. Das fand Stella rührend, denn es bedeutete, dass Julianne noch ängstlicher und unsicherer war als sie selbst, folglich auch stärker auf diese Beziehung angewiesen war.
»Ich werde die Mutterrolle übernehmen«, erklärte Stella.
»Bis jemand hereinkommt, der besser dafür geeignet ist.«
»In Ordnung.« Es war sowieso nur zum Schein, um einander Mut zu machen, denn für ein Dem fehlte es ihnen an Mitgliedern.
Während Julianne sich vor und zurück wiegte, nahmen ihre Ausdünstungen den Geruch von Kaffee und Thunfisch an –
eine seltsame Mischung, die Stella leicht beunruhigte und in ihr den Wunsch weckte, irgendjemandem um den
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