Die Darwin-Kinder
gesagt?«
»Oh, mein Gott.« Das Mädchen rollte sich zusammen und von ihm weg. »Ich wusste es, ich wusste es. Ich konnte etwas riechen. Es war das Baby in mir. Oh, mein Gott.« Helen setzte sich abrupt auf. »Ich muss auf die Toilette.«
Offenbar war Dickens Sorge ihm selbst durch die Schutzhaube anzumerken.
»Ich werde mir nichts antun, ich muss nur brechen. Sehen Sie nicht hin, sehen Sie mir nicht dabei zu.«
»Ich werde im Wohnzimmer auf dich warten.«
Sie schwang ihre Beine aus dem Bett, stand auf und blieb kurz stehen, wobei sie die Arme ausstreckte, als könne sie nur so das Gleichgewicht halten. »Er hat Nasenpfropfen benutzt«, sagte sie, während sie auf den Fußboden starrte. »Erst hat er mich mit Seife abgeschrubbt und dann mit billigem Parfüm eingesprüht. Ich konnte ihn nicht davon abhalten. Ich will wissen, ob ich jemals Enkel haben werde, hat er gesagt. Dabei war er nicht einmal mein richtiger Vater. Ein Baby, oh, mein Gott.«
Ihr Gesicht verzog sich zu einem so komplexen Ausdruck, dass Dicken ihn stundenlang hätte studieren können, ohne daraus schlau zu werden. Jetzt konnte er sich vorstellen, wie sich Schimpansen fühlen mussten, wenn sie Gefühlsausbrüche bei Menschen beobachteten.
»Tut mir Leid«, sagte Dicken.
»Haben Sie schon mal ein Mädchen meiner Art getroffen, das schwanger war?« Sie zwang ihn, sie anzusehen, und hielt seinen Blick fest.
»Nein.«
»Ich bin also die Erste?«
»Die Erste, der ich begegne.«
»Tja.« Mit panischem Blick marschierte sie steif zur Toilette.
Dicken konnte hören, wie sie sich zu übergeben versuchte. Er ging ins Wohnzimmer. Der Geruch seines Kummers und Ekels füllte den Schutzhelm, in dem er keine Möglichkeit hatte, sich über die Augen zu wischen oder sich zu schnäuzen.
Als Helen aus der Toilette kam, blieb sie in der Tür stehen und schlängelte sich dann so hindurch, als habe sie Angst, den Rahmen zu berühren. Sie streckte die Arme wie Flügel aus.
Ihre Wangen leuchteten jetzt beständig in goldbraunem Ton und die gelben Feuersteinfunken in ihren Augen wirkten noch größer und heller. Als sie ihn fragend ansah, wirkte sie mehr denn je wie eine Katze. Durch die Plastikhaube konnte sie seine verschwollenen Augen und tränenfeuchten Wangen erkennen. »Was bekümmert Sie das?«, fragte sie.
Dicken schüttelte den Kopf. »Schwer zu erklären. Ich war von Anfang an dabei.«
»Was soll das heißen?«
»Ich weiß nicht, ob für Erklärungen Zeit ist. Wir müssen herausfinden, warum du krank bist.«
»Erklären Sie’s mir, danach können Sie mich untersuchen.«
Dicken fragte sich, wie sie da draußen reagieren würden, wenn er stundenlang im Wohnmobil blieb. Falls Jurie zufällig in dieser Zeit zurückkam…
Nicht, dass es eine Rolle spielte. Er musste etwas für dieses Mädchen tun. Es verdiente so viel mehr als das hier.
Er zog den Klettverschluss der Schutzhaube hoch, machte den Reißverschluss auf und legte sie ab. Es war bestimmt nicht das schlimmste Risiko, das er in seinem Leben eingegangen war. »Ich war einer der Ersten, die es erfuhren«, fing er an.
Das Mädchen hob die Nase und schnüffelte. Die Art und Weise, wie die Oberlippe dabei ein V bildete, war so seltsam schön, dass Dicken lächeln musste.
»Besser?«, fragte er.
»Sie haben keine Angst, Sie sind wütend«, stellte Helen fest.
»Wütend wegen dem, was mit mir geschieht.«
Er nickte.
»So etwas hat noch niemals jemand für mich empfunden. Es riecht irgendwie süß. Setzen Sie sich ins Wohnzimmer. Aber halten Sie ein bisschen Abstand für den Fall, dass ich gefährlich bin.«
Im Wohnzimmer nahm Dicken auf einem Esszimmerstuhl Platz, während sie mit verschränkten Armen bei der Couch stehen blieb, als sei sie jederzeit bereit, davonzurennen.
»Erzählen Sie’s mir«, forderte sie.
»Darf ich dich untersuchen, während ich erzähle? Du kannst die Kleidung anbehalten. Und ich werde dich auch nicht mit irgendwelchen Instrumenten pieksen. Es reicht, wenn ich dich ansehe und abtaste.«
Das Mädchen nickte.
Gerüchte und Halbwahrheiten waren alles, was Helen je gehört hatte. In den ersten paar Minuten blieb sie stehen, während Dicken seine Finger vorsichtig unter ihr Kinn drückte, die Achselhöhle abtastete und sich die Haut zwischen den Fingern und Zehen ansah.
Ein Weilchen später nahm sie auf der Couch Platz, hörte ihm aufmerksam zu und sah ihn mit diesen unglaublichen gefleckten Augen an.
36
Arizona
An einer Kreuzung in einer kleinen
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