Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Darwin-Kinder

Die Darwin-Kinder

Titel: Die Darwin-Kinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
Vom Netzwerk:
gesorgt.
    »Sie schreiben, Sie hätten das Gefühl, klüger zu werden und mehr Distanz zur Situation zu gewinnen, aber gleichzeitig Ihr Ich einzubüßen.« Kaye musterte die schattenhafte Gestalt im dunklen Zimmer. Vor dem Treffen mit Marian Freedman hatte man sie informiert, dass Mrs. Rhines Ekzeme sich sehr böse entwickelt hätten. »Ich würde gern mehr darüber hören.«
    Plötzlich beugte sich Mrs. Rhine vor. »Ich weiß, warum Sie hier sind«, erklärte sie mit erhobener Stimme.
    »Warum?«
    »Weil wir beide das Virus gehabt haben.«
    Einen Augenblick schwiegen beide.
    »Ich verstehe nicht, was Sie damit sagen wollen«, erwiderte Kaye leise.

    »Asketen setzen sich auf hohe Felsen, um die Berührung mit Menschen zu vermeiden. Sie warten auf Gott und werden dabei wahnsinnig. So geht’s mir auch. Ich bin der heilige Antonius, nur sind die Teufel zu schlau, ihre Zeit auf ein Schwätzchen mit mir zu verschwenden. Ich bin schon in der Hölle, sie müssen mich nicht daran erinnern. Ich habe mich verändert. Mein Gehirn kommt mir jetzt zwar größer vor, aber es gleicht einem großen Warenlager mit lauter leeren Kartons.
    Ich versuche die Kartons zu füllen, indem ich lese. Früher war ich dumm, nichts als ein Muttertier. Das Virus hat mich für meine Dummheit bestraft. Ich wollte leben, also habe ich mir das Schweinegewebe transplantieren lassen. Und das hätte ich nicht tun dürfen, stimmt’s? Ich bin keine Jüdin, aber Schweine sind imposante Kreaturen mit sehr viel geistig-seelischem Innenleben, meinen Sie nicht auch? Sie spuken in mir herum.
    Ich hab ein paar Gespenstergeschichten über Schweine gelesen, Gruselgeschichten, sehr beängstigend. – Ich weiß, ich rede wie ein Wasserfall. Marian hört mir zu, die anderen auch, aber für sie ist es Schwerstarbeit. Ich glaube, ich mache ihnen Angst. Sie fragen sich, wie lange ich noch durchhalte.«
    Kayes Magen war so angespannt, dass sie die Magensäure in der Kehle spürte. Obwohl sie starkes Mitgefühl mit der Frau hinter der Glasscheibe hatte, fiel ihr nichts ein, das sie ihr zum Trost hätte sagen oder unternehmen können. »Ich höre immer noch zu«, bemerkte sie schließlich.
    »Gut. Ich wollte Ihnen nur sagen, dass ich bald sterben werde. Ich kann’s in meinem Blut spüren. Auch Sie werden sterben, auch wenn es bei Ihnen vielleicht noch länger dauert.«

Mrs. Rhine stand auf und ging um die umgekippte, mit einem Leichentuch verhängte Couch herum.
    »Ich habe diese Albträume, in denen ich irgendwie von hier entkommen kann. Ich spaziere umher, berühre Menschen, versuche zu helfen, bringe letzten Endes aber alle nur um.

    Dann besuche ich Gott… und mache ihn krank. Ich töte Gott.
    Und der Teufel sagt zu ihm: Ich habs dir doch gleich gesagt.
    Während Gott stirbt, macht sich der Teufel über ihn lustig.
    Und ich sage: Das ist auch das Beste für dich.«
    »Oh.« Kaye schluckte schwer. »Aber so ist es nicht und wird es auch zukünftig nicht sein.«
    Mrs. Rhine schwenkte die Arme vor dem Fenster hin und her.
    »Sie können das unmöglich verstehen. Ich bin jetzt müde.«
    Kaye wollte noch etwas sagen, brachte es aber nicht fertig.
    »Gehen Sie jetzt, Kaye«, sagte Carla Rhine mit Nachdruck.

    In Marian Freedmans kleinem Büro nippte Kaye an einer Tasse Kaffee. Sie weinte so heftig, dass ihre Schultern bebten.
    Während sie den Schutzanzug abgelegt und geduscht hatte und danach in den Fahrstuhl gestiegen war, hatte sie sich beherrscht, aber jetzt gelang es ihr nicht mehr. »Das war nicht gut«, brachte sie zwischen zwei Schluchzern hervor. »Ich bin mit der Situation überhaupt nicht fertig geworden.«
    »Wir können nichts mehr tun – nicht für Carla«, erwiderte Freedman. »Ich weiß auch nicht, was ich ihr sagen soll.«
    »Ich hoffe, es wirft sie nicht zurück.«
    »Das glaube ich nicht. Sie ist in vielerlei Hinsicht stark. Zum Teil ist die Situation gerade deswegen so brutal. Die anderen verhalten sich ruhig, haben ihre Gewohnheiten. Sie sind wie Hamster, verzeihen Sie den Ausdruck, aber es stimmt. Carla ist anders.«
    »Sie hat die Züge einer Heiligen angenommen.« Kaye setzte sich im Plastikstuhl auf und holte sich aus der mit Blumen verzierten Schachtel auf Freedmans Schreibtisch ein weiteres Papiertaschentuch. Während sie sich die Augen wischte, schüttelte sie den Kopf.

    »Nicht die einer Heiligen«, entgegnete Freedman gereizt und mit Nachdruck. »Die einer Verdammten vielleicht.«
    »Sie sagt, sie werde bald sterben.«
    Freedman blickte

Weitere Kostenlose Bücher