Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Darwin-Kinder

Die Darwin-Kinder

Titel: Die Darwin-Kinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
Vom Netzwerk:

    Dicken zählte sechs Lastwagen und rund hundert Soldaten –
    hatte sich an den Kreuzungen aufgebaut. Ein ständig wiederkehrendes Phänomen – seine Hochzeiten hatte es in den Frühlings- und Sommermonaten, seinen Tiefstand im Winter –
    waren die Protestgruppen. Zu den Soldaten und den Stolperdrähten, die einen Alarm auslösen konnten, hielten sie einen gewissen Abstand. Dicken schätzte, dass es heute drei-oder vierhundert Menschen sein mochten, mehr als üblich.
    Und sie waren auch aktiver als sonst. Die meisten waren unter dreißig, viele sogar unter zwanzig. Einige trugen grell eingefärbte Batikhemden und ausgebeulte Hosen und hatten ihre Haare zu langen, ausgeblichenen Dreadlocks verfilzen lassen.
    Sie sangen, brüllten Parolen und schwenkten Schilder, auf denen die ,Virus-Missgeburten’ als Ergebnis genetischer Manipulationen von wahnsinnigen Wissenschaftlern großer Konzerne bezeichnet wurden. Zwei nagelneue Lastwagen streckten ihre weißen Satellitenantennen zum Himmel.
    Reporter waren unterwegs, um die Aktivisten zu befragen und das nimmersatte Kommunikationsnetz mit halbverdauten Weisheiten und ein paar Aufnahmen zu füttern. Dicken hatte das alles schon oft erlebt.

    In den Nachrichtensendungen hatten die Aktivisten wieder und wieder behauptet, die neuartigen Kinder seien künstlich erzeugte Monster, dazu erschaffen, den großen Konzernen die Übernahme der Welt zu erleichtern. GM-Kids nannten sie die Kinder. Oder auch Laborbrut und Monsantos Marionetten.
    Einige Dutzend Eltern, die ebenfalls vor Ort waren, hatte man fast bis auf das Gras und den Kies eines provisorischen Parkplatzes zurückgedrängt. Dicken konnte sie mühelos von den Aktivisten unterscheiden. Die Eltern waren älter, konservativ gekleidet, erschöpft und nervös. Für sie war das hier kein Spiel, kein aufregendes Ritual wie für die Jugendlichen, die etwas erleben wollten, ehe sie in ein dumpfes, langweiliges Erwachsenenleben eintauchten.
    Der Dienstwagen und seine beiden Eskorten fuhren durch eine Reihe von gegeneinander versetzten Betonsperren bis zum ersten Tor in der Umzäunung. Protestierende umschwärmten den Zaun und schwangen ihre Schilder in Richtung der geschützten Straße. Das größte, rot bemalte Schild ganz vorn, das ein magerer Junge mit auffallend schlechten Zähnen schwenkte, trug die Aufschrift Hey, hey, USA – Finger von der DNA!
    »Einfach erschießen«, murmelte Dicken.
    Mit verkniffenem Mund nickte Augustine sein Einverständnis.
    Verdammt, wir sind tatsächlich mal einer Meinung, dachte Dicken.
    Anfangs hatten sich die oppositionellen Gruppen weitgehend aus Eltern zusammengesetzt. Zu Tausenden waren sie zu den Schulen geströmt, manche mit Armesündermiene und Schuldgefühlen, andere verbittert und trotzig. Alle hatten gebettelt, man möge ihre Kinder doch nach Hause entlassen.
    Damals waren die Gebäude für die Kleinkinder noch voll gewesen und die Heime für die Älteren noch im Bau oder leer.

    Die Eltern hatten ihre Mahnwachen das ganze Jahr über durchgehalten, selbst im tiefsten Winter, mehr als fünf Jahre lang. Ursprünglich hatten sie sich wie vorbildliche Bürger verhalten und ihre Kinder freiwillig ausgeliefert – im Vertrauen auf die Zusicherungen der Regierung, dass man ihnen die Kinder irgendwann zurückgeben werde.
    Mark Augustine hatte dieses Versprechen nicht halten können. Anfangs hatte das, was er zu wissen glaubte, dagegen gesprochen, in späteren Jahren jedoch verboten es die harten politischen Realitäten.
    Im Großen und Ganzen waren die Amerikaner der Ansicht, es sei für sie sicherer, wenn man die Virus-Kinder isolierte.
    Wegsperrte, aus dem Blickfeld der Öffentlichkeit entfernte. So weit weg, dass jede Ansteckungsgefahr ausgeschlossen werden konnte.
    Dicken merkte, wie sich Augustines Gesichtsausdruck veränderte, als der Dienstwagen die steile Auffahrt zur Anhöhe erklomm: von bemühter Gleichgültigkeit zu einer Teilnahmslosigkeit, die auf das Schlimmste gefasst zu sein schien.
    Der massive Gebäudekomplex thronte geduckt und hässlich auf der Hochebene. Es sah aus, als hätten Kinder auf den grünen Hügeln Ohios Bauklötze verstreut.
    Der Wagen schlängelte sich durch die Absperrungen und fuhr am Torhaus aus Beton vor, das noch weißer strahlte als die Wolken. Während die Wachen ihre Tagestermine durchsahen und sich mit den Geheimdienstagenten berieten, starrte Augustine durch das Wagenfenster nach Osten, auf eine Viererreihe von lang gestreckten, ockerfarbenen

Weitere Kostenlose Bücher