Die Darwin-Kinder
Einsatzzentrale«, erklärte Trask. »Sie können das Büro gern benutzen, Dr. Augustine. Es liegt im zweiten Stock und bietet den besten Überblick über die Schulanlagen, mal abgesehen von den Wachtürmen, die wir inzwischen vor allem als Lagerräume nutzen. Zunächst besuchen wir das medizinische Zentrum. Sie können dort sofort mit Ihrer Arbeit anfangen, abseits vom übrigen Chaos.«
»Ich möchte sofort zu den Kindern«, erklärte Dicken mit Nachdruck.
»Aber sicher.« Trasks Augen huschten hin und her. »Sie können die Kinder ja gar nicht verfehlen.« Der Direktor eilte mit großen Schritten voraus, bis er bei einem Blick über die Schulter merkte, dass Dicken bei diesem Tempo nicht mithalten konnte. Sofort machte er kehrt.
DeWitt schien etwas sagen zu wollen, allerdings nicht, solange sich Trask in Hörweite befand.
»Ich möchte Ihnen unsere Einrichtungen kurz erläutern«, sagte Trask. »Die Joseph-Goldberger-Schule ist die größte in Ohio und zählt überhaupt zu den größten schulischen Einrichtungen in ganz Nordamerika.« Er gestikulierte so, als wolle er die Umrisse einer Kiste verdeutlichen. »Die Schule wurde vor sechs Jahren auf dem Gelände der Jugendstrafanstalt Warren K. Pernicke errichtet, einer Körperschaft des öffentlichen Rechts, die von Nantex Limited verwaltet wurde. Als die Belegung der Gefängnisse nach Änderung der Gesetze gegen Drogenmissbrauch um zwanzig Prozent zurückging, wurde Pernicke geschlossen.« Er klang immer mehr wie ein Reiseführer, der seinen kleinen Standardvortrag herunterrasselt, was die Situation noch grotesker erscheinen ließ. »CGA und Nortent erhielten den Zuschlag, den Gebäudekomplex so umzuwandeln, dass dort SHEVA-Kinder untergebracht werden konnten. Sie schafften es in einer Rekordzeit von neun Monaten. Hundert Meter östlich vom größten Sicherheitstrakt, der in seiner ursprünglichen Form aus dem Jahre 1949 stammt, wurden vier neue Wohnheime errichtet. Das alte Krankenhaus und die Landwirtschaftsgebäude wurden in klinische Einrichtungen und Forschungseinrichtungen umgewandelt. Aus der Berufsschule wurde zunächst eine Kindertagesstätte, später eine schulische Einrichtung. Der Schwerverbrechertrakt mit seinen vierhundert Betten beherbergt heute unsere Geisteskranken und Behinderten. Wir nennen es unser Zentrum für Spezialtherapie. Es ist die einzige Einrichtung dieser Art in ganz Ohio.«
»Wie viele Kinder sind dort untergebracht?«, fragte Dicken.
»Dreihundertundsieben.«
»Sie wurden noch isolierter gehalten als die anderen«, sagte Middleton.
»Dr. Jurie oder Dr. Pickman können Ihnen mehr darüber sagen«, bemerkte Trask. Zum ersten Mal begann die Maske heiterer Verbindlichkeit zu bröckeln. »Allerdings…«
»Ich hab die beiden heute noch gar nicht gesehen…«, erklärte Middleton.
»Irgendjemand hat mir erzählt, sie wären heute Morgen weggegangen«, sagte DeWitt. »Vielleicht, um Medikamente zu besorgen«, fügte sie mit bemühtem Optimismus hinzu.
»Nun ja«, Trasks Adamsapfel hüpfte auf und ab, als habe er eine Walnuss verschluckt. Mit gekünstelter Betroffenheit schüttelte er den Kopf. »Jedenfalls sind hier nach dem Stand von gestern 5400 Kinder untergebracht.« Verstohlen warf er einen Blick auf die Uhr. »Uns fehlt einfach das Nötigste.«
Gleich darauf führte er sie zum Westflügel des Gebäudes und einen breiten Verbindungsgang entlang, der von ausgemusterten Kühlschränken flankiert wurde. Die alten Eistruhen waren mit schwarzgelbem Band versiegelt. Überall auf dem Gang standen leere Rollwagen und aufeinander gestapelte Edelstahltabletts herum. Es roch penetrant nach Raumspray mit der Duftmarke Kiefer.
DeWitt, die neben Dick ging, erinnerte an eine Schiffbrüchige, die auf die rettende Holzplanke hofft. »Man benutzt hier Raumspray, um die Produktion und das Einschnüffeln von Düften bei den Kindern zu unterbinden«, bemerkte sie halblaut. Wie sie erläuterte, bedeutete das Einschnüffeln, dass sich die SHEVA-Kinder den Geruch in den Mund sogen. Dazu zogen sie die Oberlippe hoch und saugten durch die Zähne mit schwachem Zischen Luft ein. Danach strömte die Luft in ihre vomeronasalen Organe, wo Drüsen saßen, die Pheromone ausmachen konnten und sehr viel empfindlicher waren als die der Elterngeneration. »Das Sicherheitspersonal und viele andere tragen hier Nasenpfropfen.«
»Das ist in den Schulen weit verbreitet«, teilte Middleton Dicken mit einem flüchtigen Blick auf Augustine mit. Sie öffnete einen
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