Die Darwin-Kinder
zum Einreiben und einen Waschlappen. »Wir haben nie ein Ohrthermometer besorgt«, entschuldigte sich George. »Wir haben das nie für nötig gehalten.«
»Ich hab jetzt keine Angst mehr«, sagte Iris. »Weißt du, George, ich hatte Angst davor, ihre Kleine anzurühren, aber jetzt schäme ich mich dafür.«
Während sie Stella festhielten, führten sie das Thermometer ein. Die Temperatur war auf 40,5 gestiegen, ihre Normaltemperatur lag bei 36,5. Verzweifelt wuschen sie Stella mit dem Schwamm ab, wobei sie einander ablösten, und brachten sie danach ins Badezimmer, wo Kaye die Wanne mit Wasser und Eis gefüllt hatte. Wie unglaublich heiß Stella war.
Mitch sah, dass sie in ihrem Mund offene Wunden hatte, die bluteten.
Und der Kummer sah ihm wie ein Schatten bei allem über die Schulter. Gierig und wachsam.
Kaye half Mitch dabei, Stella wieder ins Bett zu bringen. Sie machten sich nicht die Mühe, sie abzutrocknen. Mitch nahm Kaye leicht in den Arm und streichelte ihren Rücken. »Ich werde Stella etwas Hühnerbrühe machen«, erklärte George und machte sich auf den Weg nach unten.
»Sie wird nichts essen«, sagte Kaye.
»Dann essen wir die Suppe eben selbst.«
Kaye nickte.
Mitch sah seine Frau an, die vor Müdigkeit und Erschöpfung kaum noch bei sich war, und fragte sich, wann dieser Albtraum wohl vorbei sein würde. Erst wenn deine Tochter tot ist.
Was natürlich überhaupt keine zulässige Antwort war.
Sie aßen in dem abgedunkelten Zimmer, schlürften die heiße Brühe aus Tassen. »Wo bleibt der Arzt?«, fragte Kaye.
»Er muss noch zwei andere Besuche machen, ehe er zu uns kommt«, erklärte George. »Wir haben Glück gehabt, dass er überhaupt kommt. Er ist der Einzige in der ganzen Stadt, der die neuartigen Kinder behandelt.«
33
Ohio
Die Krankenstation lag auf dem ersten Stock des medizinischen Zentrums, ein offener etwa hundert Quadratmeter großer Saal, der höchstens für sechzig oder siebzig Patienten gedacht war. Die Vorhänge, die die Betten abteilten, waren alle bis zur Wand zurückgezogen, damit Platz für die mindestens zweihundert Feldbetten, Matratzen und Sesselpolster war, die man inzwischen hereingebracht hatte.
»Der Saal war schon in den ersten sechs Stunden überfüllt«, erklärte Kelson.
Es stank penetrant nach Urin, Erbrochenem und einer die Nase beleidigenden Ausdünstung menschlicher Krankheit. All das war Dicken überaus vertraut, aber es lag noch mehr in der Luft: ein scharfer, fremdartiger Geruch, der einerseits lästig, andererseits aber auch beruhigend und barmherzig wirkte. Die Kinder hatten die Kontrolle über ihre Duftproduktion verloren.
Die Luft im Saal war geschwängert mit unbegreiflichen Pheromonen, Vomeropherinen. Es war das Arsenal und Vokabular einer menschlichen Kommunikation, die vielleicht nicht neuartig war, aber in dieser Weise selten so offen zu Tage trat.
Selbst ihr Urin roch anders.
Trask zog ein Taschentuch aus der Hosentasche und legte es sich über Mund und Nase, obwohl er bereits eine Schutzmaske trug. Augustines Bewacher vom Geheimdienst verzog sich in die Ecke und tat es, sichtlich aus der Fassung gebracht, Trask nach.
Dicken ging auf ein Feldbett in der Ecke zu, in der ein Junge auf der Seite lag. Sein Brustkorb hob und senkte sich kaum. Er musste sieben oder acht Jahre sein und zählte somit zu den SHEVA-Kindern der zweiten und letzten Welle. Ein gleichaltriges oder etwas älteres Mädchen kauerte neben dem Feldbett und hielt die Finger des Jungen an einen silbernen CD-Player gedrückt, damit er ihn nicht fallen ließ. Die Kopfhörer baumelten seitlich übers Bett. Beide Kinder waren zierlich, hatten braune Haare, braune Haut und schwache, zarte Glieder.
Als Dicken näher kam, blickte das Mädchen zu ihm empor.
Auf sein Lächeln hin verdrehte es die Augen, streckte die Zunge heraus und ließ den Kopf neben dem Arm des Jungen aufs Bett sinken.
»Blutsfreunde«, sagte DeWitt. »Sie hat ein eigenes Bett, will dort aber nicht bleiben.«
»Dann stellen Sie die Betten doch einfach nebeneinander«, schlug Augustine vor und sah sie kurz mit einem Blick an, der Ärger oder auch Traurigkeit ausdrücken mochte.
»Sie bewegt sich nie mehr als ein paar Zentimeter von ihm weg. Wahrscheinlich hängt ihr Gesundheitszustand voneinander ab.«
»Erklären Sie das«, bat Dicken leise.
»Wenn sie hierher gebracht werden, bilden die Kinder Gruppen, die gemeinsam schnüffeln. Zwei oder drei schließen sich zusammen und legen ein Spektrum von
Weitere Kostenlose Bücher