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Die Darwin-Kinder

Die Darwin-Kinder

Titel: Die Darwin-Kinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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deuten, die immer noch vor sich hin brabbelten. »Es ist sinnlos, die Wahrheit des Herrn in künstlichen Stimmen zu suchen, die ein Werk des Teufels sind.«
    Kaye kniff die Augen zusammen. Plötzlich spürte sie Wut und hatte seltsamerweise das Gefühl, die Situation steuern zu können. Sie kam sich sogar angriffslustig vor, so als sei sie der Falke und die beiden anderen die Tauben. Der Frau fiel die Veränderung auf, dem Mann entging sie.
    »Terence«, sagte sie und fasste ihn am Ellbogen. Als er den Blick von der Decke wandte, merkte er, dass Kaye ihn mit wütendem Blick fixierte. Verblüfft trat er von einem Fuß auf den anderen und stockte in seinem Redeschwall. Sein Adamsapfel hüpfte auf und nieder.
    »Ich lebe allein.« Kaye bot den Satz wie einen Köder an, setzte darauf, dass sie anbeißen würden, damit sie die beiden am Haken hatte. »Mein Mann ist gerade aus dem Gefängnis entlassen worden. Meine Tochter ist in einer Spezialschule.«
    »Das tut mir wirklich Leid. Ist alles in Ordnung mit Ihnen?«, fragte die Frau ebenso misstrauisch wie besorgt.

    »Was für eine Tochter ist das?«, wollte der Mann wissen.
    »Eine Ausgeburt von Sünde und Krankheit?« Die Frau zupfte ihn heftig am Ärmel. Erneut hüpfte sein Adamsapfel auf und ab, während die Blicke der beiden Kayes Kleidung so durchbohrten, als suchten sie nach verdächtigen Ausbuchtungen.
    Kaye straffte die Schultern und schob ihre Hand vor, damit die beiden ihr Platz machten.
    »Ich weiß, wer Sie sind«, fuhr der Mann fort, obwohl die Frau immer noch an ihm zerrte. »Jetzt hab ich Sie wiedererkannt. Sie sind die Wissenschaftlerin, die diese kranken Kinder damals entdeckt hat.«
    Durch den Gang in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt, wurde Kaye die Kehle so eng, dass sie husten musste. »Ich muss jetzt gehen.«
    Der Mann war so kühn, einen letzten Versuch zu wagen, zu ihr durchzudringen. »Selbst eine in den eigenen Verstand verliebte, egozentrische Wissenschaftlerin, die im Ruhm ihrer Fernsehauftritte erstickt, kann zu Gott finden.«
    »Haben Sie schon mit ihm gesprochen?«, fragte Kaye nachdrücklich. »Haben Sie mit Gott geredet?« Sie packte seinen Arm und grub ihre Fingernägel fest in Stoff und Haut.
    »Ich bete fortwährend«, erwiderte der Mann und fuhr zurück.
    »Gott ist mein Vater im Himmel. Er hört stets zu.«
    Kaye verstärkte ihren Griff. »Und hat Gott Ihnen je geantwortet?«
    »Er gibt auf vielfältige Weise Antwort.«
    »Haben Sie Gott je in Ihrem Kopf gespürt?«
    »Bitte«, sagte der Mann, der bei dieser Frage zusammengezuckt war.
    »Lassen Sie ihn los«, forderte die Frau und versuchte, mit ihrem Arm dazwischen zu gehen.

    »Gott spricht also gar nicht mit Ihnen? Wie seltsam.« Kaye trat einen Schritt vor und drängte beide zurück. »Warum spricht Gott denn nicht mit Ihnen?«
    »Wir sind gottesfürchtige Menschen. Wir beten und der Herr antwortet auf mannigfaltige Weise.«
    »Gott macht sich aus dem Staub, wenn die Lage brenzlig wird. Was für ein Gott ist das denn? Er ist wie jemand, der einmal eine Nachricht aufgezeichnet hat und sie immer wieder abspult. Wie eine himmlische Service-Agentur, die dich in die Warteschleife verbannt, wenn du losbrüllst. Das müssen Sie mir schon erklären. Mir hat Gott gesagt, dass er mich liebt, und dennoch lässt er mich in eine Welt fallen, in der das Leben eine Qual ist. Und mit Ihnen beiden, die so unwissend, so voller Hass sind, gibt er sich gar nicht erst ab. Mit selbstgerechten, bigotten Menschen nimmt er gar nicht erst Fühlung auf. Das müssen Sie mir schon erklären!«
    Nachdem sie den Arm des Mannes losgelassen hatte, drehte sich das Paar um, offensichtlich schwer getroffen, und ergriff die Flucht.
    Das Gebrabbel der Bücher hinter Kaye verstummte plötzlich.
    Ihr Brustkorb hob und senkte sich heftig, sie blieb stehen. Ihre Wangen waren knallrot und feucht vor Schweiß.
    »Alles klar«, sagte sie in den leeren Gang hinein.
    Nachdem sie lange genug abgewartet hatte, dass sie davon ausgehen konnte, dem Paar draußen nicht nochmals zu begegnen, verließ sie den Laden. Dem bitterbösen Blick des Wachmanns schenkte sie keine Beachtung.
    Sie blieb unter dem Vordach stehen, atmete die schwüle, feuchte Luft ein und lauschte auf das Donnergrollen, das aus weiter Ferne, von Virginia, herüber drang. Bald darauf bog der Dienstwagen um die Ecke und hielt am schwarz-gelben Randstreifen vor dem Buchladen. »Tut mir Leid«, sagte der Chauffeur. Als Kaye durch das offene Fenster der Limousine

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