Die Datenfresser
prinzipiell nur gespeichert werden, was wirklich für einen vorab definierten Zweck gebraucht wird, und es soll gelöscht werden, was nicht mehr benötigt wird. In der Praxis sind jedoch gerade angloamerikanische Unternehmen große Freunde von nahezu ewiger Datenhaltung, und auch deutsche Firmen speichern lieber mehr und länger, wenn es sich irgendwie einrichten läßt. Dadurch steigt auch das Risiko mit der Zeit immer mehr, da die Datenkonvolute wertvoller und attraktiver für Verkauf, Verwertung, aber auch für Diebstahl und Datenspionage werden.
Freiwillige Datenabgabe
Immer wichtiger werden die Daten, die wir freiwillig den verschiedenen digitalen Gedächtnissen offerieren. Ob Online-Bilderdienst, Chat, Forenbeiträge, Profileinträge oder Kommunikation in sozialen Netzwerken – wir vertrauen immer mehr Datenhappen Systemen an, über die wir nur eine sehr eingeschränkte Kontrolle haben. Benutzer geben dennoch freiwillig an, wo sie arbeiten und wie lange, was ihre Position oder Berufsbezeichnung ist, dazu kommen Daten wie E-Mailadressen oder Mobilnummern. Die Profile der sozialen Netzwerke sind etwa bei einem Viertel der Nutzer ausgesprochen genau.
Bei der einige Monate lang weltweit größten Plattform MySpace ist das Verhalten der freiwilligen Datenweggabe bei Minderjährigen untersucht worden. Öffentliche Profile von Nutzern im Alter von 14 bis 18 Jahren wurden dazu in einer Studie der Universität Wisconsin nach bestimmten Bildern durchforstet. Bikinifotos oder Fotos in Badebekleidung fanden sich bei zwei Millionen der jungen Leute, oft direkt mit ihrem Namen versehen. Den meisten Nutzern – ob Jugendliche oder Erwachsene – ist es nicht einmal bewußt, aber die Nutzungsbedingungen von populären Diensten wie Flickr oder Twitter geben den Betreibern das faktische Recht, mit den hochgeladenen Bildern und Texten zu machen, was sie wollen.
Natürlich achten die Betreiber darauf, ihre Nutzer nicht offen zu vergrätzen und machen zumindest derzeit nicht in dem Maße von ihren Rechten Gebrauch, wie sie laut Nutzungsbedingungen könnten. Eine Garantie auf zukünftiges Berücksichtigen von Empfindlichkeiten der Datenspender gibt es jedoch nicht. Spätestens dann, wenn ein Online-Dienst an einen Konkurrenten verkauft wird oder pleite geht, werden die Nutzerdaten mitverkauft, und dann ist es mit der Rücksicht vorbei.
Das Ausmaß und die Intensität der kommerziellen Verwertung von Nutzerdaten hängt in erster Linie also davon ab, was die Teilnehmer beispielsweise eines Online-Bilderdienstes zu tolerieren bereit sind. Wenn nur ausgewählte Bilder auf der Hauptseite vorgestellt und verlinkt werden, haben die wenigsten damit ein Problem. Wenn jedoch – wie es die Nutzungsbedingungen einiger Anbieter durchaus gestatten würden – die Profildaten samt der Bilder an kommerzielle Abnehmer verkauft werden, ohne daß der Fotograf etwas davon hat oder dagegen tun kann, so dürfte für viele eine Grenze überschritten werden. Sie würden wohl zu einem anderen Anbieter wechseln, der sich weniger herausnimmt – oder einfach einen besseren Service offeriert.
Daten als Geiseln
Die spannende Frage ist also, ob ein Wechsel der sozialen Plattform überhaupt möglich ist, ob man seine Daten mitnehmen und vielleicht in einen anderen Dienst integrieren kann, wenn man wechseln möchte. Das ist jedoch meist nicht so einfach, in einigen Fällen sogar schlicht unmöglich. Anders als bei Stromversorgern oder in der Telekommunikationsbranche haben sich noch keine Regularien für den halbwegs unkomplizierten Anbieterwechsel herausgebildet.
Die wesentlichen Kriterien für den Marktwert von Online-Services an der Börse ist die Zeit, die Nutzer auf der Plattform verbringen, und die Menge an Daten, die sie dort hinterlassen. Ziel beim Design der Dienste ist daher, die Kunden zu möglichst häufiger und intensiver Nutzung zu animieren, denn wer viel Zeit und Mühe investiert hat, wird nicht so schnell zur Konkurrenz wechseln. Sollte dies aber doch der Fall sein, so soll man es möglichst schwer haben. »Stickiness« heißt der Fachterminus, am besten mit Klebrigkeit zu übersetzen. Er ist ein Maß dafür, wie gut es gelingt, den Nutzer fest an sich zu binden und einen Wechsel unbequem, zeitraubend und lästig zu machen, ohne daß dies dem Nutzer auffällt, bis es soweit ist.
Wer einmal alle seine Freunde, seine Notizen und Dokumente in einem Online-Service wie Facebook abgelegt hat, wird kaum ohne weiteres zur Konkurrenz
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