Die Datenfresser
wechseln. Wer fünf Jahre sein digitales Leben und Arbeiten in den gesammelten E-Mails bei Google Mail archiviert hat, tut sich schwer mit einer Trennung vom Anbieter. Wer alle Fotos der Lieblingskamera über Jahre hochgeladen, sortiert, korrekt benannt, nach Alben geordnet und von Freunden und Familie hat verlinken lassen, wird ebenso an der Plattform kleben. Die Stickiness steigt mit jedem Tag. Die Zeit und Daten, die man in einen Dienst investiert hat, sind der eigentliche Halteanker.
Es gibt zwar immer wieder Initiativen, den Nutzern die Mitnahme ihrer Daten zu erleichtern, sie finden aber aus naheliegenden Gründen keine Unterstützung seitens der Anbieter. Diese haben keinerlei Interesse daran, einen einfachen Wechsel zur Konkurrenz zu ermöglichen. Natürlich kann man per Hand seine Bilder und ähnliches wieder herunterladen und dann mühsam in einen neuen Dienst hochladen. Das gelingt jedoch für Verbindungen zu Freunden, Nachrichten und anderes nur unvollständig. Die Informationen und Daten sind in Geiselhaft.
Ein Benutzer, der auf einer Plattform besonders aktiv ist, wird daher auch wesentlich seltener bereit sein, diese wegen etwas, das wie eine Kleinigkeit erscheint, wie etwa eine Änderung der Datenschutz- und Privatsphäre-Einstellungen zu seinen Ungunsten, zu verlassen. Das wäre ungefähr so, als würde man seine Stammkneipe oder Lieblingsrestaurant wechseln, weil einem die neu installierte Überwachungskamera vor der Tür oder die Farbe des neuen Einbands der Speisekarten nicht paßt. Seine Freunde, Sozialkontakte, Reputation, liebgewonnenen Erinnerungen und die Vertrautheit mit dem System zurückzulassen fällt den meisten Menschen schwer. Lieber arrangieren sie sich mit den widrigen Neuerungen, überlegen sich kleine Kniffe, die das Problem für sie erträglicher zu machen scheinen oder blenden die negativen Effekte für sich einfach aus. Es wird mich ja schon nicht treffen, was kann schon passieren, denken sich nicht wenige.
Besonders geschickt im Ausnutzen der Datengeiselsituation ist das im Stanford Research Park residierende amerikanische Unternehmen Facebook, dessen Sitz einem Hochsicherheitstrakt gleicht. Die schiere Größe erlaubt der Firma Datenpraktiken, die für kleinere Konkurrenten vermutlich existenzvernichtend wären. 2009 überstieg die aktive Mitgliederzahl die Hundertmillionen-Grenze. Längst speichert die Plattform beispielsweise deutlich mehr Bilder als die auf Fotos spezialisierten Anbieter.
Viele Jugendliche, aber auch Erwachsene können sich ein Leben ohne ihre Facebook-Seite kaum noch vorstellen. Praktisch alle Sozialkontakte, der Austausch über Erlebtes, Bilder, Flirts, Unterhaltung, Spiele und Selbstpräsentation finden dort statt. Auch der Besuch vieler anderen Webseiten ist bereits eng mit der ubiquitären Facebook-Welt verwebt: Ruft man eine Nachrichtenseite auf, sieht man sofort, wer aus unserem Freundeskreis schon dort war und ob er den Inhalt der Nachricht weiterempfohlen hat. Umgekehrt funktioniert es ebenso. Eine Webseite kann als empfehlenswert an Freunde weitergereicht werden.
»Liken« (von engl. to like, mögen) heißt das im Facebook-Deutsch. Facebook zu verlassen wäre aus dem Blickwinkel vieler aktiver Benutzer in etwa so, als würde man in eine fremde Stadt umziehen, wo man niemanden kennt. In der Regel passiert dies nur, wenn ganze soziale Gruppen den Sprung wagen. Das ist dann für den verlassenen Anbieter um so verheerender, weil er viele User in kurzer Zeit verliert. Der »MySpace-Exodus« war ein Beispiel aus jüngerer Zeit, bei der ganze Freundeskreise in Scharen direkt zu Facebook gewechselt haben. MySpace war im Rennen um Funktionalität und Bequemlichkeit zu weit zurückgefallen.
Verbergen statt Löschen
Besonders interessant ist ein Blick hinter die technischen Kulissen eines solchen sozialen Netzwerks. Das Sammeln der Benutzerdaten gleicht einer ewigen Liste, denn das Löschen von Informationen, die bei Facebook hinterlassen wurden, ist zwar zuweilen auf der für die Webseiten-Besucher sichtbaren Ebene möglich, nicht jedoch aus den internen Datenbanken. Dort bleibt jedes hochgeladene Foto, jede einzelne Nachricht, jede Registrierung von Profilaufrufen, jede Änderung des eigenen Facebook-Status oder Profils erhalten. Facebook hat immerhin versprochen, die Aufzeichnungen, welcher Nutzer was in seinem System getan hat, also welche Profile er besucht hat, wie lange er eine Bildergalerie angesehen hat, nicht länger als drei Monate
Weitere Kostenlose Bücher