Die Datenfresser
bezahlbar. Die Kombination aus absurd hohen Erdgas- und Benzinpreisen, horrenden Parkgebühren in der Innenstadt und oft nur noch notdürftig reparierten Straßen läßt die meisten auf Busse und Bahnen umsteigen.
Die Alternative ist, einer der vielen Fahrgemeinschafts-vermittlungen beizutreten oder die Mobility Center der drei verbliebenen europäischen Autohersteller zu nutzen. Roberts Erfahrungen mit Fahrgemeinschaften sind jedoch eher zwiespältig. Wenn man keine engen terminlichen Verpflichtungen hat und die kleinen oder großen Macken der Mitfahrer erträgt, sind sie halbwegs akzeptabel. Wenn man aber wirklich pünktlich in der Stadt sein muß, kann man sich auf das System nicht verlassen. Die Mobility Center hingegen sind nicht für auswärtig Wohnende konzipiert, nur die zahlungskräftigen Innenstädter profitieren davon. Im Sommer bleibt Robert nur das Fahrrad als Ausweg. Immerhin honoriert ihm das seine Krankenkasse.
Leise fluchend quetscht sich Robert in den Bus. Sein Telefon gibt beim Passieren der Tür ein Bestätigungspiepsen ab, das Abrechnungssystem hat es erfaßt, die Fahrt wird gebucht. Er hätte auch eine anonyme Prepaid-Karte erwerben können, jedoch würde er beim monatlichen Wechsel der Karte ordentlich draufzahlen. So gibt es zwar theoretisch die Möglichkeit, sich ohne personalisierte Nachvollziehbarkeit mit den öffentlichen Verkehrsmitteln zu bewegen, jedoch nutzen eigentlich nur die Youngster diese Option. Sie tauschen dann jeweils die Karten untereinander, um ihre Spuren zu verschleiern. Aus dem Augenwinkel beobachtet Robert, wie die Frau mit dem Papierbuch genau so eine Karte vor das Lesegerät hält. Plötzlich fallen ihm die haarfeinen Drähte auf, die von der Karte in den Ärmel des Overals führen, da sie im Licht des Werbedisplays kurz schimmern. Und daß sie die Karte danach nicht in eine Tasche steckt, sondern im Ärmel verschwinden läßt. Interessant, sie ist wohl doch keine Offlinerin, grinst Robert.
Er hatte vor ein paar Wochen darüber gelesen: Offenbar hatte wieder ein cleverer Hacker einen Weg gefunden, das Kartensystem zu überlisten. Oder eine Hackerin, denkt sich Robert. Die letzte Welle von Tricksern, die sich durch Ausnutzung von technischen Schwächen im System anonymen und kostenfreien Zugang zum Nahverkehr verschafft hatten, war gerade vor einem dreiviertel Jahr verurteilt worden. Das Nahverkehrsunternehmen mußte alle Karten und Lesegeräte austauschen und hatte daraufhin personalisiertes Bezahlen per Telefon gegenüber den pseudonymen Karten preislich noch attraktiver gemacht.
Robert hatte das Ganze nur am Rande mitbekommen, eine andere Abteilung seiner Kanzlei hatte das Nahverkehrsunternehmen bei der Verfolgung der Hacker und vor Gericht unterstützt. Robert beschließt sofort, seine Zufallserkenntnis für sich zu behalten. Im Grunde seines Herzens sympathisiert er mit allen, die sich gegen die allgegenwärtige Verdatung wehren, auch wenn sie damit meist gegen die Interessen seiner eigenen Generation agieren. Die verurteilten Hacker hatten nicht einmal ein Geschäft mit ihren Zauberkarten gemacht, sie hatten sie nur an ihre Freunde und Gleichgesinnte verteilt. Der Richter der ersten Instanz hatte dafür keinerlei Verständnis, die Richterin in der zweiten Instanz minderte immerhin die Strafe geringfügig, auch wenn sie die von den Angeklagten vorgebrachten politischen Argumente nicht teilte.
Die Frau im Overall vertieft sich wieder in ihr Buch, eingeklemmt zwischen der Scheibe und einer Haltestange. Selbstvergessen studiert Robert ihr Gesicht. Sie hat leichte Augenringe, ist blaß und nicht unbedingt eine Schönheit. Als sie hochsieht, liegt in ihren Augen etwas, das er nicht auf den ersten Blick festmachen kann. Schließlich dämmert es ihm: Es fehlte die weitverbreitete resignierte Müdigkeit. Automatisch schaut Robert auf sein Telefon und scrollt durch die Liste der Mitreisenden, deren Telefone sich automatisch in diesem Bus eingecheckt haben. Ungefähr die Hälfte der Mitfahrer scheint angemeldet zu sein. Die meisten benutzen den Service, um zum einen zu signalisieren, daß sie im Bus zugegen sind, und natürlich um gleichzeitig zu sehen, ob Freunde oder Kollegen mitfahren, um eventuell ein Schwätzchen zu halten. Manche haben ihr Telefon auch einfach aus Gewohnheit aktiviert oder sind sich ihrer Registrierung gar nicht bewußt. Es gibt zwei Namen und Icons, die aus den üblichen Profilen seiner Mitreisenden herausfallen, die üblicherweise ein echtes
Weitere Kostenlose Bücher