Die Datenfresser
Computerdisplay im Flur zur Fahrplansuche, um herauszufinden, wann der nächste Bus fährt. Mit dem Auto in die Innenstadt zu fahren ist sinnlos. Trotz Energiekrise und Innenstadtmaut gibt es kaum Parkplätze. Die Leute, die es sich leisten können, in der sogenannten A-Zone zu wohnen, haben in der Regel mehr als ein elektrisches Auto. Die Parkhäuser unter den Büros werden zu Preisen vermietet wie andernorts Wohnungen. Robert schimpft innerlich zum wiederholten Male auf seinen Chef, der darauf besteht, die Kanzlei direkt im teuersten Teil der Stadt zu belassen. Der Erfolg gibt ihm zwar recht, aber genug Parkplätze für seine Mitarbeiter waren trotzdem nicht im Budget.
Pling! Eine Nachricht von seinem NikeGoogle-Fitneß-Manager. »Du hast diesen Monat dein vereinbartes Sportvorhaben weit verfehlt. Willst du nicht vielleicht doch das Fahrrad nehmen?« Das ist wohl das Ergebnis von Googles verbesserter »Search Integration«. Das Lebensmanagementsystem bekommt natürlich alle seine Suchanfragen mit und zieht seine Schlußfolgerungen. Die Weiterleitung an den Fitneßmanager hatte nur wenige Sekunden gedauert.
Pling-Pling! Eine Nachricht von seiner Krankenkasse. »Wir möchten Sie nochmals darauf hinweisen, daß beim Überschreiten der Fitneß-Mindestanforderungen in drei aufeinanderfolgenden Monaten eine automatische Umstufung in den nächsthöheren Teiltarif stattfindet. Das Einhalten eines moderaten Bewegungstrainings ist Voraussetzung für den von Ihnen gebuchten Tarifdiscount. Sie haben leider bereits für zwei Abrechnungsperioden die Mindestanforderungen nicht vollständig erfüllt. Bitte erfüllen Sie die Vertragsbedingungen, es ist in Ihrem eigenen Interesse und im Interesse der Versichertengemeinschaft.« Robert geht zurück ins Bad und stellt sich auf die Waage: 79 Kilo. Wenigstens hatte er hier noch Luft nach oben, ab 85 Kilo wird es richtig teuer. Daß die von der Krankenkasse gelieferte Waage die Daten übermittelt, ist kein Geheimnis.
Grummelnd überlegt Robert, was er tun soll: Bei dem schlechten Wetter für den Rest des Monats das Fahrrad nehmen ist weniger attraktiv als sich ein paar Abende ins Sportstudio zu bemühen. Allerdings hat er eigentlich darauf spekuliert, dieser Tage mit Maria, der faszinierenden Praktikantin aus der Audit-Abteilung, ein bißchen mehr Zeit zu verbringen, da diese ihn offenbar nicht gänzlich unattraktiv findet. Irgendwie sollte sich das schon vereinbaren lassen, vielleicht käme sie ja mit zum Schwimmen? Damit die NikeGoogle-Software Ruhe gibt, schaut er kurz auf die Auslastungsprognose des Sportstudios. So gegen 20 Uhr wird es offenbar heute leerer, das paßt halbwegs zu seinen Plänen.
Pling! Da ist auch schon das Update für seinen Workout-Plan, siebzig Minuten würden für ein akzeptables Programm ausreichen. Na gut. Seufzend packt er die Sporttasche und macht sich auf den Weg zum Bus. Robert erinnert sich noch gut daran, wie harmlos alles angefangen hatte. Das Life-Management war echt praktisch, man vergaß keine Termine mehr, und es war insgesamt einfacher, sich nicht so gehenzulassen. Und es sparte auch noch Geld durch die neue Tarifeinstufung.
Natürlich war alles freiwillig, man konnte auch ganz ohne leben. Mittlerweile war jedoch allein die Aussicht auf noch höhere Krankenkassenbeiträge genug, um die meisten seiner Freunde und Kollegen auch einen zertifizierten algorithmischen Fitneß-Trainer benutzen zu lassen, der überwacht, wieviel und wie intensiv man sich bewegt. Robert redet sich das Kontrollregime der Kasse bis heute schön, er tröstet sich damit, daß es ja auch seiner Gesundheit dienen würde.
In Gedanken über seine Gesundheit verloren, bindet er sich vor dem Spiegel die Krawatte. Sein Lebensassistenzsystem hat wie immer anhand der heute anstehenden Termine Robert passende Kleidung vorgeschlagen, natürlich auch den Binder. Seit er in der Kanzlei angefangen hat, benutzt er ein kleines Helfer-Programm für verschiedene Krawattenbindearten. Er läßt sich randomisiert Vorschläge machen, da er insgeheim findet, wenn ihm der Anzug schon vorgeschlagen würde, dann solle wenigstens die Art des Knotens zufällig sein. Mit Bildern und einer Animation werden Robert die Krawatten-Hinweise spiegelverkehrt auf dem Display angezeigt.
Auf dem Weg zur Bushaltestelle sieht er den vertrauten Reinigungsroboter, der langsam die Wand entlangkriecht und dabei ein paar über Nacht aufgetauchte Graffiti vom Shopping-Center entfernt. »Geht sterben!« und »No Future
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