Die Datenfresser
Foto verwenden. Robert speichert die Einträge, eventuell hat er ja Glück bei späterer Recherche. Was er dann tun will, ist ihm noch nicht so ganz klar. Die Frau jetzt direkt anzusprechen kommt ihm gar nicht in den Sinn.
Nach einer knappen halben Stunde zwängt sich Robert zur Tür hinaus und atmet erstmal tief durch. Es hat angefangen zu regnen, die Luft ist kühl. Die lesende Frau ist weitergefahren. In zwanzig Minuten beginnt sein morgendliches Meeting, sein Briefing zur Eingliederung in eine ihm noch mysteriös erscheinende neue Projektgruppe. Gerade noch genug Zeit für einen mittelmäßigen Kaffee, immerhin besser als das gruselige Gebräu, das aus dem Automaten in der Büroküche kommt.
Eigentlich wollte Robert nicht mehr so oft bei großen Kaffeehaus-Ketten einkaufen, die sind seiner Meinung nach schließlich Mitschuld an der endlosen Abfolge von immer neuen Krisen der letzten fünfzehn Jahre. Es gibt jedoch in der Innenstadt kein kleines inhabergeführtes Café mehr, die Mieten sind wohl dafür zu hoch. Er läuft also in den »Coffee Store« an der Ecke, stellt sich in der Schlange an, bekommt am Ende seinen »Double shot« in die Hand gedrückt und macht sich auf den Weg zum Büro. Für einen Uneingeweihten muß das Ganze wie Magie ausgesehen haben. Keine Bestellung wurde aufgegeben, kein Geld wechselt den Besitzer, was außer den einstudierten Höflichkeitsfloskeln der Servicekräfte zu hören ist, sind leise Piepgeräusche.
Roberts Telefon hatte sich beim Betreten in der Mobilfunk-Picozelle des Ladens angemeldet, darüber direkt die Bestellung (»wie immer«) aufgegeben und die Bezahltransaktion durchgeführt. Wenn er etwas anderes gewollt hätte, hätte er mit seiner Telefontastatur zu einer abweichenden Bestellung gewechselt. Da er aber heute keine besonderen Wünsche hatte, lief die Bestellung und Bezahlung ohne sein direktes Zutun ab. Roberts Kaffee war rechtzeitig fertig, als er in der Schlange bis an den Tresen vorgerückt war, identifiziert vom Nahfeld-Chip in seinem Telefon bekam er den richtigen Becher überreicht.
Die Technologie dafür ist so billig geworden, daß die Coffee-Store-Kette damit zwei Tresenkräfte einsparen und die Kaffeemaschinen halbautomatisch betreiben kann. Lediglich eine weitere Servicekraft zum Überwachen der Maschinen füllt von Zeit zu Zeit Kaffeebohnen und Milch nach und achtet auf die wenigen Fehlermeldungen der Maschinen. Nun können deutlich mehr Kunden in derselben Zeit abgefertigt werden. Da gerade zu den Stoßzeiten am Morgen und Nachmittag die Geschwindigkeit der Abfertigung für die meisten Gäste das wichtigste Kriterium für die Wahl des Cafés geworden ist, hatte die Kette das System enthusiastisch eingeführt und seine Kunden mit aggressiven Einführungspreisnachlässen geködert. Mittlerweile sind viele weitere Schnell- und Buffet-Restaurants darauf umgestiegen, um ihre Personalkosten weiter zu senken. Da die meisten Menschen in einer sich in rasendem Tempo verändernden Welt das Gewohnte, Verläßliche, Wiederholbare suchen und zudem nicht permanent an die allgegenwärtige Kommerzialisierung aller Lebensaspekte erinnert werden wollen, ist das »PayByWalk« genannte System ein riesiger Erfolg geworden.
In der Kanzlei
Robert läuft leicht mißmutig ins Bürogebäude. Die Zugangsschleuse registriert seinen funkbestückten Betriebsausweis und öffnet sich mit einem effizienten Surrgeräusch. Das Sicherheitssystem des Fahrstuhls fragt ebenfalls den Ausweis ab und markiert automatisch das richtige Stockwerk für Robert und die weiteren Zusteigenden. Wenn er in ein anderes Stockwerk seiner Firma wollte, konnte er immer noch die Etagenknöpfe benutzen, aber im Normalfall hält der Fahrstuhl für ihn auf der gewünschten Etage.
Worum es in der neuen Projektgruppe seines Arbeitgebers gehen soll, weiß Robert noch nicht. Es ist ihm auch einigermaßen egal. Er macht seine Arbeit gründlich, gewissenhaft und mit einem gewissen Hang zur Pedanterie, den seine Chefs offenbar zu schätzen wissen. Er trägt zwar den einstmals stolzen Titel eines Rechtsanwalts, doch er ist kein Anwalt des Rechts im Wortsinne. De facto ist er ein kleines Rädchen im Getriebe einer Großkanzlei, die vorwiegend Kunden am Schnittpunkt zwischen Konzernen und Behörden sowie öffentlichen Verwaltungen bedient.
Die Rechtsgebiete, mit denen er zu tun hat, sind meist wenig aufregend oder innovativ, aber dafür oft international, wenn etwa europäische oder chinesische Unternehmen sich um
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