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Die Datenfresser

Titel: Die Datenfresser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Constanze Kurz
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Aufträge von deutschen Behörden bemühen oder russische Staatsfirmen Probleme in Deutschland haben. Bekannt ist die Kanzlei für die Betreuung von Rückführungen einstmals privatisierter Infrastruktur in die öffentliche Hand und die Suche nach den sogenannten Leichen im Keller von Firmen, die zu Übernahme-Kandidaten geworden sind.
    Der Meetingraum für heute heißt »Baikonur«. Der Chef hatte darauf bestanden, die Räume nach Raumfahrtstandorten zu benennen, wohl um ein Gefühl von Erhabenheit, Fortschritt und Hoffnung zu simulieren. Dementsprechend zeigen die beiden Displaywände auch verwaschene Schwarzweißbilder von Kosmonauten beim Training und einen Raketenstart aus längst vergangener Zeit. Die Abbildungen wechseln stündlich. Immerhin dekorativer als die endlosen Dokumentenseiten und Zusammenhangsgraphen, die sicher gleich darauf projiziert würden.
    Im Raum sind nur zwei andere Kollegen, die wie Robert schon eine Weile in der Kanzlei arbeiten: Rafael ist Mathematiker. Er kommt ursprünglich aus Spanien und ist Spezialist für komplizierte Finanzierungsmodelle. Und Karola, die eigentlich vollwertige Anwältin ist, jedoch in der Kanzlei eine Art Feuerwehr-Rolle innehat. Immer wenn es irgendwo brennt, übernimmt sie das Kommando der Löschtrupps. Zwischendurch ist sie immer mal wieder auf Auslandseinsätzen, über die sie kaum im Detail spricht. Robert weiß: Ihre Anwesenheit bedeutet, daß es nicht langweilig werden wird.
    Pünktlich um 9.40 Uhr betritt der Chef den Raum. Im Gefolge hat er Barbara, seine unersetzliche Sekretärin, in Personalunion rechte Hand, externes Gedächtnis, Mädchen für alles und – soweit man dem Büroklatsch trauen kann – Geliebte. Des weiteren nehmen am Meeting zwei unbekannte Besucher und – zu Roberts freudiger Überraschung – Maria teil, die Praktikantin aus der Audit-Abteilung. Maria lächelt ihn kurz an und setzt sich dann ans andere Ende des Tisches, wo die Computersteuerungselemente sind. Der Chef geht zum Rollo-Schalter und fährt die Jalousien an den bis zum Boden reichenden Außenfenstern herunter. Dann eröffnet er die Sitzung. Auf den Displaywänden erscheint der Titel des Projekts: »Wostok«, russisch für »Osten«, gleichzeitig der Name der ersten Serie bemannter Raumschiffe, wie Robert dank der Raumfahrtmacke des Kanzleichefs weiß. Das Bild, das von Marias flinken Fingern auf die Wände geworfen wird, zeigt jedoch keine vertrauten Bilder: ein paar Wohncontainer und merkwürdige Bauten mitten in einer endlosen Schneewüste.
    Der Chef setzt zu einer kurzen einleitenden Erklärung an: »Wostok ist eine Forschungsstation in der Antarktis, die so unzugänglich ist wie kaum eine andere menschliche Siedlung. Hier werden regelmäßig die kältesten Temperaturen auf dem Planeten gemessen, oft unter -80 Grad. Ich habe den Namen für diese Projektgruppe gewählt, weil Sie genauso isoliert arbeiten werden wie die Forscher dort. Ihre Tätigkeit unterliegt einer strengeren Geheimhaltung als alles, was Sie bisher gemacht haben – vielleicht mit Ausnahme von ein paar Sachen, die Karola erledigt hat. Ich muß Sie, bevor ich unsere beiden Besucher vorstelle, bitten, die besondere Geheimhaltungsvereinbarung zu unterschreiben, die auf Wunsch des Kunden ein wenig über das bisher in unserer Kanzlei Übliche hinausgeht.« Er verteilt einen Stapel fünfseitiger Dokumente in doppelter Ausfertigung unter den Anwesenden und wartet ungeduldig darauf, bis er sie unterschrieben zurückbekommt. Robert schaut nur kurz über die Klauseln, sie gehen wie angekündigt über das in der Kanzlei übliche Vertragswerk hinaus.
    Er verschwendet keine Sekunde an den Gedanken, die Seiten in Ruhe zu lesen. Robert kann sich seinen Job gerade nicht aussuchen, und der Chef ist dafür bekannt, sehr nachtragend zu sein, wenn man seine Zeit über die Maßen in Anspruch nimmt oder sich gar einer Projektzuordnung verweigert. Dann kommt man ganz schnell auf eine Position innerhalb der Kanzlei, die nur dazu dienen soll, möglichst schnell reumütige Unterwerfung oder eine freiwillige Kündigung auszulösen. Verfolgung von Urheberrechtsverletzungen oder die Betreuung des Archivs waren solche Strafarbeiten, in seinem Alter und bei der derzeitigen Arbeitsmarktlage keine Option für Robert. Genauer lesen kann er die Erklärung ja später immer noch, sagt er sich. Beim Durchblättern hat er nur kurz Überschriften wie »Datenfreigabeerklärung« und »Transparenzverpflichtung« gesehen. Eine juristische

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