Die Datenfresser
is today« ist an der Wand noch zu entziffern. Vor relativ kurzer Zeit war der Konflikt zwischen der alternden, aber zahlenstarken Generation über sechzig und der immer kleiner werdenden jüngeren Generation offen ausgebrochen. Letztere sehen überhaupt nicht ein, von einer Kohorte regiert zu werden, die aus ihrer Sicht früher alles verbockt und ihnen die Chance auf eine lebenswerte Zukunft genommen hat.
Die Konfliktlinien brechen überall in der Gesellschaft auf. Es gibt ganze Subkulturen, die sich in eigene, abgekapselte soziale Netze zurückgezogen haben, die weitgehend nicht-kommerziell und für alle über dreißig nicht zugänglich sind. Werbung, Konsum und alles, was mit der »kaputten Wirtschaft«, also dem, wie die Welt vor der dritten Ölkrise funktioniert hatte, zusammenhängt, wird bekämpft. Technische Tricks und Software, um der allgegenwärtigen Datensammlung, die als Gängelung durch die Alten empfunden wird, zu entgehen, sind für die Youngster selbstverständlich geworden. Es gibt sogar eine kleine Subkultur von jungen Offlinern, die bewußt so leben, wie sonst nur die über 80-jährigen. Sie verzichten damit natürlich auf einen Großteil der wenigen verbliebenen Annehmlichkeiten. Solange es jedoch noch eine halbwegs solvente Masse wirklich alter Leute gibt, denen der ganze »Digitalfirlefanz« zu kompliziert und undurchsichtig ist, kann auch dieser Lebensstil überdauern.
Der Bus läßt auf sich warten. An der Haltestelle sammeln sich mehr und mehr Menschen, eine Auswahl der gleichen Gesichter, die um diese Zeit hier immer anzutreffen ist. Das Infomercial-Display des Haltestellenhäuschens versucht, ungefähr den kleinsten gemeinsamen Nenner der Vorlieben der Wartenden zu treffen, heraus kommt ein Einheitsbrei aus Nachrichten über Sport, Kurzzeitberühmtheiten, Wetterbericht und Werbung. Der Aufwand, den die Betreiberfirma in das Anpassen der Spots auf das gerade anwesende Publikum steckt, ist vermutlich weitgehend vergebens.
Aus den Aufenthaltsdaten der Mobiltelefone und den dazugehörigen Interesseprofilen, die von den diversen sozialen Netzwerken gegen einen kleinen Anteil am Werbeetatkuchen bereitgestellt werden, berechnet das System ein Durchschnittsprofil, das die Auswahl der Informationshäppchen und vor allem die Werbung steuert. Paradoxerweise funktioniert das Prinzip am besten, wenn nur einer oder wenige Menschen an der Haltestelle stehen. Nachts kommt es daher auch schon mal vor, daß tatsächlich Politiknachrichten über den Schirm flimmern, wenn Robert allein auf den Bus wartet. Die meisten Wartenden scrollen jedoch ohnehin auf dem Bildschirm ihres Telefons herum, telefonieren mit Freunden oder starren Löcher in die Luft. In der Ecke sitzt eine junge Frau in einem schlichten Overall und liest kaugummikauend in einem arg abgenutzten, in Packpapier eingeschlagenen Papierbuch. Vielleicht ist sie ein Offliner.
Robert schaut mit Interesse zu der lesenden Frau. Offenbar hatte sie die Fähigkeit zur Konzentration auf lange Texte noch nicht verloren, die so vielen seiner Freunde abhanden gekommen ist. Seine Kollegen in der Kanzlei sind meist davon nicht betroffen, Juristen leben schließlich mit endlos langen Vertragstexten. Die Kommunikation mit ihren Kunden erledigen sie jedoch mittlerweile häufig mit Hilfe von Simplifizierungssoftware. Die fein ziselierten juristischen Klauseln überträgt es in einfache Sprache. Das Ergebnis bedarf noch etwas der Nacharbeit, aber es spart deutlich Zeit, die früher für das Schreiben von Management-Zusammenfassungen draufgegangen ist. Das Problem ist dabei natürlich, daß die Zusammenfassung keine Rechtsgültigkeit hat, auch wenn sie häufig das einzige ist, was die Kunden verstehen. Nun ja, immerhin können einige halbwegs gut davon leben, daß die Aufmerksamkeitsspanne der meisten Menschen auf ein paar Minuten zusammengeschrumpft ist.
Schräg über seinem Kopf entdeckt Robert einen lautlosen Flugroboter, im Volksmund altmodisch »Postflieger« genannt. Sie liefern in der Regel kleinere elektronische Bauteile, etwa für Mobiltelefone oder Spielkonsolen, vor allem Akkus oder Datenträger. Man erkennt schon an ihrer Farbe, welcher Anbieter seine Ware versendet.
Endlich rollt der Bus leise sirrend heran, leider brechend voll. Die städtischen Verkehrsbetriebe kommen immer noch nicht mit der Situation zurecht, die durch die Innenstadtmaut und die Ölkrise entstanden ist. Für immer mehr Menschen ist die tägliche Autofahrt zur Arbeit nicht mehr
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