Die Datenfresser
Diskussion zum Thema Datenrecht hatte neulich im Anwaltsforum im Netz stattgefunden, er hatte sie aber nur überflogen.
Im Kern war es in dieser Diskussion darum gegangen, daß ein Berater oder auch Beamter, der mit besonders heiklen Aufgaben betraut wurde, für die Zeit des Projektes zur kompletten Datentransparenz gegenüber dem Auftraggeber verpflichtet wurde. Dieser bekam einen speziellen Zugangscode, um Lesezugriff auf das gesamte digitale Leben des Betroffenen zu erhalten. Nach dem faktischen Scheitern des ersten Versuches der Ausgabe eines digitalen Personalausweises vor ein paar Jahren hatte sich die Regierung beim zweiten Versuch weitaus schlauer angestellt. Zusammen mit der allgemeinen Umstellung auf das neue Internet-Protokoll » IP v6« war 2017 eine Registrierungspflicht für alle netzwerkfähigen Geräte eingeführt worden. Das war zwar nicht ohne Proteste möglich gewesen, aber die neue Bedrohung durch die sogenannten Öko-Extremisten und die tatkräftige Unterstützung durch die Wirtschaft hatten ihr übriges getan. Jedes Telefon, jeder Computer, jedes Auto war seitdem auf eine Person oder Institution digital registriert und hatte eine permanente Internet-Adresse bekommen. Ein paar Youngster-Hacker und die anderen üblichen Verdächtigen hatten selbstverständlich Wege gefunden, die Registrierung und Zuordung zu unterlaufen. Für den größten Teil der Bevölkerung gab es jedoch kein Entkommen, wenn man nicht besonders begütert war oder sich mit sinistren Gestalten abgeben wollte.
Der Zugriff auf die Nutzerdaten hinter einer IP -Adresse ist zwar für Privatunternehmen streng reguliert, hatte Robert auf dem Anwaltsforum gelernt. Datenrecht war keines seiner bevorzugten Rechtsgebiete im von ihm gewählten Schnellstudiengang gewesen. Aber er hatte gelesen, daß ein soziales Netzwerk nicht den Klarnamen oder die Wohnadresse zu einer IP -Adresse abfragen durfte, sondern nur das Alter. Jeder Nutzer kann sich außerdem mit einem Pseudonym anmelden. Für die Sicherheitsbehörden und die neugegründeten Präventionseinheiten gibt es solche Hürden allerdings nicht. Auch der Fall, daß ein Erwachsener freiwillig vertraglich einwilligt, seine eigenen Daten freizugeben, ist rechtlich vorgesehen. Wenn also eine Person selbst eine Datenfreigabe- und Transparenzeinwilligung abgibt, kann der in der Einwilligung benannte Bevollmächtigte über die IP -Adresse alle Formen der Netznutzung nachvollziehen und über die Aufzeichnung der Bestätigungsanfragen an den Registrierungsserver eine vollständige Liste aller Accounts bei allen Online-Diensten erstellen lassen, um dort wiederum mit dem Einwilligungszugangscode die Daten abzufragen.
Soziale Netzwerke, Bewegungsdaten, Bezahlvorgänge, Kommunikationsverhalten, sogar einige medizinische Informationen – alles wird dann automatisch dem Bevollmächtigten offengelegt. Die sozialen Netzwerke hatten dafür eigens Informationsprotokolle vorgesehen, über die alle Kontakte von der Transparenzregelung automatisch Kenntnis bekommen. Das Profil des Betroffenen wird zusätzlich mit einem kleinen farbigen Merkmal dauerhaft gekennzeichnet.
Ursprünglich waren die juristischen und technischen Mechanismen der Einwilligungserklärung als Abschreckung gegen Korruptionsdelikte und wildgewordene Banker, aber auch für Straftäter standardisiert und eingeführt worden. Wer sich komplett transparent machen muß, so die Überlegung, hat es schwerer, sich bestechen zu lassen, auf eigene Rechnung mit Kundengeldern zu zocken oder andere strafbare Handlungen vorzunehmen. In den letzten zwei Jahren war die Anwendung jedoch immer mehr auch auf die Privatwirtschaft ausgeweitet worden, um Industriespionage zu verhindern und mögliche Erpreßbarkeitspotentiale von kritischen Mitarbeitern rechtzeitig zu entdecken.
Angefangen hatte das alles vor vielen Jahren mit dem sogenannten Sarbanes Oxley Act 2002 in den USA . Ein Teil dieses umfangreichen Gesetzespaketes verpflichtete Banken und Finanzdienstleister, die gesamte unternehmensinterne Kommunikation und die Kundengespräche aufzuzeichnen und unter bestimmten Voraussetzungen zugänglich zu machen. Robert hatte mehrere Artikel darüber gelesen. Auslöser war damals der Enron-Skandal, der aus seiner Sicht in der Rückschau der Finanzkatastrophen der letzten achtzehn Jahre eher niedlich und unbedeutend erschien. Seitdem hatte eine Serie von Gesetzen und Verordnungen zum Schutz von Aktionären alle börsennotierten Unternehmen zu einer
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