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Die Datenfresser

Titel: Die Datenfresser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Constanze Kurz
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beraten, die solche Systeme anbietet.
    Im vergangenen Jahrzehnt, das im Rückblick oft unter dem Stichwort »Zweite Terrorfurcht-Dekade« beschrieben wird, war der Markt der Entwickler von kombinierten Aufzeichnungs- und Gesichtserkennungssystemen enorm gewachsen. Der ungeheuren Nachfrage konnten die Firmen jahrelang kaum nachkommen, im Schnitt war die Branche um ein Drittel jährlich gewachsen. Dazu kam die zwischenzeitliche Umrüstung von der 2D- auf die 3D-Technik.
    Roberts Kunde aus der Kanzlei hatte ihm etwas hämisch berichtet, wie die Hersteller sich diesen riesigen Markt erschlossen hatten, der nach wie vor durch die staatliche Nachfrage getrieben war. Die abgestimmten Marketingkampagnen der Hersteller hatten nämlich in breiten empirischen Tests nachweisen können, daß die dreidimensionale Gesichtserkennung für arabische und asiatische männliche Gesichter weit besser funktioniert. Mit dem Argument dieser signifikant besseren Erkennungsraten war der Verkauf und die Umrüstung von biometrischen Grenzkontrollsystemen wie geschmiert gelaufen.
    Das Gefühl, von den an den Mautbrücken und den beweglichen Verkehrsleitsystemen angebrachten digitalen 3D-Augen angesehen zu werden, ist Robert in den letzten Monaten jedenfalls nicht mehr losgeworden. Er weiß: Da die Kameras mit den Lokationsdaten einiger Vertragspartner aus der Mobiltelefonbranche gefüttert werden, ist die Wahrscheinlichkeit nicht gering, daß das Telefon in seiner Tasche die Aufmerksamkeit der Systeme auf sich zieht.
    Robert hat auch deshalb vorsorglich einen höchst peinlichen Gang zu seinem Chef angetreten, bevor er ernsthaft mit Maria anbandelte, nur um sicherzugehen, daß der Kunde das Ganze nicht fehlinterpretiert. Er machte sich keine Illusionen, daß sie ihre aufkeimende Beziehung hätten komplett verbergen können. Das Gespräch mit dem Chef war zum Glück komplikationslos verlaufen. Der hatte die verschämte Frage sofort verstanden und ihm dann per E-Mail – damit alles dokumentiert war – versichert, daß das schon in Ordnung und kein Verstoß gegen die Ethik-Richtlinien der Kanzlei sei. Und so gebe es wenigstens kein Risiko, daß beim Bettgeflüster etwas gegenüber Unbefugten offenbart würde. Trotzdem fühlte sich das Ganze für Robert an wie Mittelalter, der Gang zum Lehnsherrn für die Heiratsgenehmigung.
    Sein Leben ist eine seltsame Achterbahnfahrt geworden. Einerseits ist er mit Maria in einer Weise glücklich, die ihm schon lange gefehlt hat. Andererseits ist er tageweise depressiv und verstimmt. Veiths Paranoia ist von einer klinischen Effizienz, die auf lange Erfahrung schließen läßt. Er hatte schon im Frühsommer, zwei Wochen nach Projektstart, jedem der Mitarbeiter in einem Einzelgespräch seine elektronische Allmacht demonstriert. Offenbar fand er Gefallen daran, ein Leben anhand von dessen digitalen Spuren zu sezieren und auf Auffälligkeiten abzuklopfen. Robert konfrontierte er mit Fragen zu seinem Börsen-Spielverhalten, bei dem er vor ein paar Jahren mal nennenswerte Summen gewonnen und verloren hatte. Und – viel erschreckender – er legte ihm zwei Bilder der seltsamen lesenden Frau im Overall vor, die er einige Wochen zuvor im Bus getroffen hatte. Was er mit ihr zu tun habe, was er über sie wisse und wie lange er sie schon kenne? Veiths Algorithmen hatten einen Verdacht ausgespuckt, der darauf beruhte, daß die Aufenthaltsdaten der Frau – Alexandra mit Namen, wie er Veiths Fragen entnehmen konnte – mehrere Male pro Monat mit Roberts korrelierten.
    Der Alarm wurde ausgelöst, weil sie in den Datenbanken der Decenture-Konzernsicherheit als Extremistin registriert war, die schon im Kontext mehrerer Aufträge in den Verdacht von Agitation und kleineren Aktionen gegen die Interessen von Klienten des Unternehmens in Erscheinung getreten war. Robert bestritt in dem Gespräch natürlich jeglichen Kontakt zu oder Zusammenhang mit ihr und verwies darauf, daß sie offenbar in der gleichen Gegend wie er wohne und die Aufenthaltskorrelationen nur an öffentlichen Orten – Verkehrsmitteln, dem Shopping-Center, dem Parkcafé – auftraten.
    Woher Veith Zugang auch zu ihren Aufenthaltsdaten bekommen hat, fragt Robert wohlweislich erst gar nicht. Decenture ist dafür bekannt, exzellente Kontakte zu den Sicherheitsbehörden zu haben und auch schon mal auf nicht gänzlich legale Tricks zur Informationsbeschaffung zuzugreifen. Und natürlich sagt Robert kein Wort darüber, daß er sie bei ihren gelegentlichen

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