Die Datenfresser
Geschäftszweig aufgrund der Öko-Extremismusgesetze unter besonderem Schutz steht. Nach den auch »Wellenreuther-Gesetze« getauften Regelungen, die der damalige Innenminister 2016 nach den gewalttätigen Protesten gegen ein im Schnellverfahren genehmigtes Atomkraftwerk durchgesetzt hatte, war jede Blockade von Energie-, Lebensmittel-, Transport-, Wasser- und Gesundheitsinfrastruktur ein extremistischer Angriff, der mit allen Mitteln, die sich der Staat nach dem 11. September 2001 zugänglich gemacht hatte, bekämpft werden durfte.
Die im gleichen Zuge gegründeten Präventionseinheiten haben polizeiliche Befugnisse und können offensive Informationsbeschaffung auch offen im Alltag durchführen. Sie verwenden dazu die sogenannten Dissenz-Algorithmen, die ursprünglich für die Wirtschaft entwickelt worden waren, um negative Meinungen über Produkte in Kommentaren und in der Mitarbeiter-Kommunikation auszumachen. Öffentliche Äußerungen sowie gespeicherte Telekommunikationsdaten werden nun von den zuständigen Präventionseinheiten mit Hilfe von Fahndungsparametern, die nach potentiell extremistischen Meinungen suchen, durchforstet. Die Software bietet dafür vorkonfigurierte Suchtermini und Wortverbindungen, aber auch auf Personenzusammenhänge angepaßte Erweiterungen an. Aufkeimende neue Oppositionsgruppen und andere Unzufriedene sollen so ausfindig gemacht und beobachtet werden, ehe sie sich zu extremistischen Gruppen formieren können.
CleanSteak hat einen insgesamt hervorragenden Ruf, da es als einziges Unternehmen tatsächlich schmackhafte Steaks und Filets produziert, die gut texturiert sind und objektiv gesehen besser schmecken als die normale Ware aus den umweltschädlichen Schweinefabriken. Selbst die Fraktion der Gewissensvegetarier, die aus ökologischen und ethischen Gründen kein Fleisch essen, hat CleanSteaks-Produkte akzeptiert.
Die Proteste kommen wohl eher aus der Ecke der Verweigerer. Sie halten die ganze moderne Biotechnologie für gefährliches Teufelszeug und predigen statt dessen vegane Askese auf dem Niveau eines Dritte-Welt-Bewohners. Da fabriziertes Fleisch deutlich weniger Ressourcen verbraucht, billig ist, bei seiner Erzeugung keine Unmengen des Klimagases Methan aus den Rindermägen anfallen und es keine tierethischen Probleme gibt, war die Öko-Extremismusbewegung in dieser Frage gespalten.
Die Wochen ziehen ins Land. Robert und seine Kollegen vertiefen sich in die Terabytes der CleanSteak-Daten, die Frank Maxson mitgebracht hat, und beantworten daraus lange Listen von Fragen, die Decenture ihnen schickte. Die Deadline für den Abschluß der Due dilligence ist der 30. September, bis dahin muß sich das Team durch alle Aspekte ihres Auftrags durchgearbeitet und einen Bericht abgeliefert haben.
Die Unregelmäßigkeiten, die Maxson im ersten Meeting benannt hatte, lassen sich anhand von Strukturanalysen der CleanSteak-internen Dokumente gut nachvollziehen. Die Kanzlei hatte seit mehreren Jahren Lizenzen von zwei unglaublich teuren, aber auch sehr mächtigen Analyse-Softwarepaketen abonniert, die automatisch nach Anzeichen für Merkwürdigkeiten wie Lücken in Dokumentenversionen, Bezüge auf Memos oder E-Mails, die nicht in den zugänglichen Daten enthalten waren, oder Buchungen ohne dazugehöriges Auftrags- und Vertragswerk suchten.
Ohne diese Hilfsmittel wäre die Aufgabe kaum zu bewältigen, Robert und seine Mitstreiter konzentrieren sich darauf, die von den Analyse-Algorithmen gefundenen Unstimmigkeiten zu überprüfen und entweder wegen erwiesener Harmlosigkeit ad acta zu legen oder intensiver nachzubohren. Das Muster, das sich abzeichnet, weist auf ein Forschungsprojekt, das CleanSteak offenbar geheimhalten will.
Ansonsten enthalten CleanSteaks Datenbestände keine großen Überraschungen. Es gab ein bißchen Untreue und ein wenig Bestechung im Einkaufsmanagement – gezahlt wurde das Schmiergeld halbwegs elegant über eine eigens dafür eingerichtete Stiftung des Lieferanten, die dem Lebensgefährten des Einkaufschefs schlechte Skulpturen für überzogene Preise abkaufte. Ein Produktionsleiter ließ sich von der Firma ein kleines Appartement bezahlen – komplett legal, abgesegnet von einem Vorstand. Es gab ein paar Unregelmäßigkeiten mit rückdatierten Aktienoptionen aus der Frühzeit des Unternehmens, ein paar schräge Deals mit Risikofinanziers und Kreditgebern, als es zwischendurch mal finanziell eng geworden war. Darum hatte sich aber offenbar eine von CleanSteak
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