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Die Datenfresser

Titel: Die Datenfresser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Constanze Kurz
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ungewöhnlich. Offline-Dokumententransfers sieht man nur noch in Ausnahmefällen. Falls nicht ohnehin schon alle hellwach und aufmerksam gewesen wären, gibt es nun keinen Zweifel mehr, daß hier etwas Ungewöhnliches vor sich geht.
    Die Displaywände füllen sich mit Dokumenten und Übersichtsgraphiken. Jules Veith, der bisher geschwiegen hatte, nimmt noch einen Schluck aus seiner Teetasse und beginnt zu erläutern. Der Konzern Ziba plant, die vor acht Jahren als Start-up gegründete Firma CleanSteak zu übernehmen, die vor drei Jahren als erste mit von den Ernährungsforschern enthusiastisch gefeierten laborgezüchtetem Fleisch auf den Markt gegangen war. Die CleanSteak-Investoren und -Gründer sind sich im Grunde bereits mit Ziba handelseinig. Es geht jetzt nur noch darum, daß keine allzu großen Leichen im Keller des Start-ups schlummern, die den Kaufpreis beeinflussen oder den gesamten Deal gefährden könnten. Beide Unternehmen haben sich auf Decenture & Bridges als neutralen Prüfer geeinigt, da CleanSteak natürlich Industriespionage im Zuge der Due dilligence zu verhindern sucht. Mit dem Auftrag hat Decenture die Vollmacht zum Einblick in sämtliche Datenbestände von CleanSteak erhalten.
    Robert sind solche Vorgänge aufgrund seiner Arbeit nicht neu: Es geht darum, Verträge, Aktienpakete, Vorzugsvereinbarungen, Subventionen und die vielen kleinen Deals und Unregelmäßigkeiten zu durchleuchten, die sich im Laufe einer Unternehmensgeschichte ansammeln. Die ganze Komplexität der modernen Geschäftswelt – soweit eben nichts Ungewohntes für die Kanzlei. Man sucht nach Schwachstellen in Vertragswerken, schätzt das Risiko von teuren und langwierigen Rechtsstreitigkeiten ein und erarbeitet daraus eine Liste von potentiellen Problembereichen, die der Käufer kennen sollte. Alles eher Routine. Robert fragt sich, wozu eine so große Beratungsfirma wie Decenture & Bridges ihre Kanzlei anheuert, eigentlich sollten sie so einen Job problemlos allein erledigen können. Die Größe und Zusammensetzung ihres Teams läßt ihn vermuten, daß es um einen besonders heiklen Aspekt geht oder daß Decenture gerade anderweitig zu ausgebucht ist, um alle Details selbst zu klären.
    Roberts Vermutung bestätigt sich, als der graumelierte Herr Maxson wieder zu sprechen beginnt. Decentures Abteilung für Due dilligence sei gerade ein wenig überlastet, weswegen man gern auf die Hilfe der Kanzlei zurückgreife, die ja in der Branche einen guten Ruf habe. Außerdem sei es aus verschiedenen Gründen hilfreich, wenn gewisse Aspekte der Untersuchung abgetrennt stattfinden würden. Es gäbe da ein Problem, das die gesamte Transaktion gefährdet, sagt Maxson. Wichtige Datenbestände seien mysteriöserweise nicht mehr vorhanden oder unvollständig, einige Mitarbeiter des Unternehmens benähmen sich »merkwürdig«, wie er sich ausdrückt. Es gäbe außerdem im Netz Boykottaufrufe gegen CleanSteak von politischen Sympathisanten der Öko-Extremisten. Man muß also nebenbei auch mit laufenden staatlichen Extremismusermittlungen rechnen.
    Ein paar der Öko-Aktivisten waren letzten Monat buchstäblich unter die Räder gekommen, als sie versucht hatten, die autonom fahrenden Großvolumen-Lieferfahrzeuge zwischen zwei Teilen einer CleanSteak-Biofabrik zu blockieren, die Rohmaterialien von einer Anlage zur anderen transportieren. Die Aktivisten hatten sich dabei dummerweise darauf verlassen, daß die Personenerkennungsanlage, die Unfälle mit den vollautomatisierten Lastern verhindern soll, tatsächlich korrekt funktioniert. Die Computer waren jedoch zwei Wochen zuvor ausgeschaltet worden, weil es immer wieder Fehlalarme mit herumstreunenden Tieren gegeben hatte, die die Transporte aufhielten. Die Ironie, daß ausgerechnet echte, lebende Tiere zum Problem für eine Produktionsanlage für künstliches Fleisch geworden waren, fiel nur wenigen besonders sarkastischen Bloggern auf.
    Das Ganze war kurz in der Presse hochgekocht, hatte es jedoch nicht zu einem vollwertigen Skandal geschafft, zumal die Präventionseinheiten ermittelten. Die Anlage steht zudem weit weg in der Ukraine, und die Aktivisten waren offensichtlich selbst schuld. Lediglich in einigen Ecken des Netzes gab es eine große Aufregung und hitzige Debatten, die schließlich in einem ungelenken Boykottaufruf mündeten.
    Es ist schließlich schwierig, einen Konzern zu boykottieren, dessen Produkte praktisch überall in der Lebensmittelbranche verwendet werden und dessen

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