Die dem Mond ins Netz gegangen - Lene Beckers zweiter Fall (Lene Becker ermittelt) (German Edition)
sinnierte sie – krähte fröhlich aus dem Caravan gegenüber. Vanessa, die ältere, kam heraus und winkte fröhlich. Wohl auf dem Weg zu ihrer Oma. Alles so normal, wie der Sonnenschein über ihr.
Sie ging kurz hinüber zu ihren Freunden, Karl und Rosi. Karl wollte gerade mit seinem jungen Berner Sennhund Charly, der Lene jetzt erst einmal stürmisch begrüßte, Gassi gehen. Es tat gut sein warmes Fell unter ihren Händen zu spüren. Entsetzen malte sich auf ihren Gesichtern aus, als sie ihnen von Brigittes Tod erzählte.
» Komm, setz dich erst mal, Kleines«, sagte Karl in seiner liebevoll beschützenden Art. „Du hast ja dann heute nicht viel Schlaf gehabt.«
Es tat ihr gut mit den Freunden zu reden, jetzt in Deutsch. Sie kannten Brigitte zwar nur vom Sehen, waren jedoch erschüttert über diese Gewalttat.
» Wie seltsam, dass sie auch aus Nürnberg ist«, sagte Rosi schließlich. Die zierliche Freundin hatte in ihrer resoluten Art in Windeseile einen Kaffee gezaubert. »Das ist schon ein komischer Zufall. Die Welt ist so klein, das sagen wir immer.«
Wenn es überhaupt Zufälle gibt, dachte Lene auf ihrem Weg zu Henri. Auf jeden Fall eine seltsame Verknüpfung. Er hatte inzwischen ausgeschlafen und saß mit Thierry im Vorzelt. Auf dem Platz von Brigittes Wohnwagen war noch immer die Kriminaltechnik bei den Untersuchungen.
» Weißt du, sie kam immer zu mir, wenn sie etwas auf dem Herzen hatte«, sagte er, während sie zur Allee am Meer gingen. Für sein Alter, er musste inzwischen über achtzig sein, lief er erstaunlich schnell.
» Sie sprach so gut Französisch, und ihre Freunde kamen häufig mit. Oft tranken wir un verre , ein Glas Rosé, zusammen.«
Lene tastete sich vor. Worüber hatte Brigitte denn g esprochen?
» In der letzten Zeit viel über die Liebe. Sie hatte gerade einen jungen Mann kennengelernt, den sie sehr mochte. Und bei dem sie sich Hoffnungen machte. Sie wusste nur noch nicht, ob er auch an ihr interessiert war. Du weißt ja, wie die Jungen heute sind. An dem Abend gestern – sie hatte sich extra hübsch gemacht und er war auch bei der Clique dabei. Wie heißt er noch? Ach ja, Jean-Pierre. Ein schöner Mann. So Mitte 20. Er ist aber von draußen, aus der anderen Feriensiedlung. Arbeitet da irgendwo.«
» Na, wir werden ihn über ihre Freunde hier bestimmt finden.«
Inzwischen waren sie fast angekommen. Vor ihnen lagen die Dünen, die den Platz vom Strand und dem Meer trennten. Henri blieb stehen.
»Dort der Platz mit den beiden Zelten. Das sind sie. Aber ich will es ihnen nicht sagen. Ich geh jetzt lieber. Komm, Thierry.« Sie ließ die beiden gehen. Das, was jetzt kam, war wirklich nichts für ihn. Schon gar nicht nach heute Nacht.
Tok, tok imitierte Lene das hier übliche verbale Klopfen und kratzte etwas an einem der beiden Zelte. Nach kurzem Warten das raue Ratschen des Reißverschlusses. Ein vom Schlaf verwuschelter dunkelhaariger Kopf streckte sich heraus.
» Qu’est-ce qu’il y a ? Was gibt es?«
» Sind Sie Philippe?«
» Oui, mais… «
» Bitte kommen Sie heraus. Ich muss Ihnen etwas mitteilen.«
Er krabbelte aus dem Zelt und auf Lenes Bitte holte er auch seine Schwester. Lene holte innerlich Luft, als sie sie sah. Eine Schönheit. Obwohl man hier viele schöne Frauen sah, fiel an ihr gleich das Besondere auf. Große dunkle, im Inneren tiefschwarze Mandelaugen, der Mund mit vollen Lippen, von intensivem Rot, das keine Schminke brauchte. Eine gerade, ausdrucksvolle Nase. Perfekte Harmonie in diesem Gesicht. Dazu fiel glattes, dunkles Haar bis hinunter zur Taille, über die von der Sonne bronzefarben getönte Haut eines ebenfalls perfekten Körpers. Philippe war ebenso auffallend, einfach gut aussehend. Auch wenn die Harmonie seiner Züge weniger ausgeprägt war als bei seiner Schwester, würde er, vielleicht gerade deshalb, in einigen Jahren ein sehr interessanter Mann sein. Jetzt sah er einfach jung und verschlafen aus. Beide Geschwister blickten sie mehr erstaunt als erschrocken an. Lene erklärte ihnen, wer sie war. Verwirrte Blicke.
» Können wir uns erst einmal setzen? Ich muss Ihnen etwas sagen.«
» Ist etwas mit unseren Eltern?« fragte Florence erschrocken.
» Nein, aber – mit Ihrer Freundin Brigitte. Sie ist tot.« Sie wartete einen kurzen Augenblick, bevor sie leise „ sie ist heute Nacht ermordet worden.«
Philippe starrte sie entsetzt an, biss die Zähne aufeinander. Erst als er laut ausatmete , merkte sie, dass er die Luft angehalten
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