Die dem Mond ins Netz gegangen - Lene Beckers zweiter Fall (Lene Becker ermittelt) (German Edition)
eingebettet in die flache Weite des Landes, am Rande eines Naturschutzgebietes. Apartments, die sich zur Sonne und zum Meer öffneten, und in denen Lene dennoch nicht hätte Urlaub machen wollen, weil sie die Natur um sich herum einfach brauchte. Geschäfte, Diskotheken. Hunderte von Angestellten, die für das Funktionieren des Riesenareals sorgten.
Und dann der Campin gplatz. Die Urzelle. Schon 1950 waren die ersten Pioniere gekommen, gründeten hier ein natürliches Campinggebiet für FKK Anhänger. Es dauerte Jahre bis irgendwann die Feuchtgebiete hier trockengelegt wurden und damit die Mückenplage weniger wurde. Aber nichts hätte die eingeschworene Gemeinschaft der Naturistes von hier vertreiben können, nicht einmal, als hier eine gewisse Ordnung entstand. Mehr Regeln, Parzellierungen, deren großzügiger Schnitt aber immer Luft für die Individualisten ließ. Abstand zum Nachbarn.
Mitte der Siebzigerjahre entdeckten die Homosexuellen diesen Platz, sie kamen aus Paris ebenso wie aus ganz Frankreich, Deutschland und dem restlichen Europa. Fügten sich wie selbstverständlich in die Gemeinschaft ein. Lange vor jeder Liberalisierung waren sie hier frei, und niemand störte sich an ihnen. Kurz nach ihnen kamen die Transvestiten aus Paris, bauten sich hier eine Insel. La Cage aux Folles – der Käfig der Narren. Und immer lag ein ganz besonderer Frieden über allem.
Selbst als dann mit den Neunzigern die Echangisten, die Swingerpaare, aus Paris hier einzogen. Da schluckten einige doch schwer, als ihr Urlaubsort plötzlich als Sündenbabel in den Medien Erwähnung fand. Aber mit stoischer Ruhe ließ die „Urbevölkerung“, die inzwischen zum Teil schon in die dritte Generation ging, auch diese Welle über sich ergehen. Selbst wenn die Erscheinungsformen von allen Arten von Sexualität schon etwas merkwürdig waren, die Toleranz und der Frieden blieben weiterhin das Urelement. Es gab keine Gewalt, keine Kämpfe, nicht einmal aus Eifersucht oder unter den Heranwachsenden, kaum weinende Kinder. Als ob die Natürlichkeit, mit allen Facetten des Lebens nackt umzugehen, eine Harmonie schaffte, in aller Freiheit oder durch sie. Die Atmosphäre, die Lene jeden Sommer brauchte, um das Jahr mit all seinen düsteren Eindrücken zu verarbeiten, um die Morde und Scheußlichkeiten loszuwerden und wieder zu sich selbst und zu innerer Ruhe zu finden. Ihre Gesundheitsquelle. Der Rückweg in das Schöne.
Zwar war das Camp jetzt d urch Sicherheitsleute geschützt, wie alle großen Menschenansammlungen, um gerade hier neugierige und nicht dazugehörende Voyeure oder Diebe fernzuhalten. Aber die Sicherheitsleute hatten eine ebenso freundlich-fröhliche Art wie die Bewohner der ganzen Anlage.
Nie würde Lene den alten Franzosen vergessen, der in den Sonnenuntergang bli nzelte und sagte: „Ist das nicht le paradis ?« Das war es.
Inzwischen stand die Sonne mit aller Kraft am Himmel. Das Telefon klingelte.
» Hier Kuhn. Lene? Was ist denn da bei Ihnen passiert?«
Es klang ein wenig so, als sei sie dafür verantwortlich, dass hier ein Mord geschehen war. Lene musste lächeln. Kannte sie doch ihren aufbra usenden, spontanen Chef, der aber in schwierigen Situationen immer voll hinter seinen Leuten stand. Sie berichtete von den Ereignissen der Nacht.
» Schon seltsam, dass das Opfer aus Nürnberg stammt. Gerade hat nämlich ein Kommissar Renaud angerufen und mich durch einen Kollegen, der ein paar Brocken Deutsch konnte, um Amtshilfe gebeten. Sie hatten das Wort offensichtlich im Wörterbuch nachgeschlagen. Meine paar Wörter Französisch dazu, ergaben Folgendes: Lene, können Sie bitte Ihren Urlaub unterbrechen – keine Angst, Sie müssen nicht nach Hause kommen - nur offiziell dem französischen Kollegen helfen. Er kann nicht im deutschen Umfeld ermitteln ohne die Sprache zu sprechen. Und da das Mordopfer aus Nürnberg stammt, können Sie dann noch mit uns die Untersuchung koordinieren. Sie dürfen dann, wenn der Fall aufgeklärt ist, Ihren Urlaub anhängen. Ist das für Sie okay? Unkosten, auch für den Campingplatz - oder eine andere Unterkunft - und Verpflegung, Telefon usw. rechnen Sie dann ab.«
Lene musste kurz blinzeln. Würde sie gleich aufwachen? War ihr Chef zu Jeannie, dem Flaschengeist mutiert? Das war ja ein Wunder! Nun würde sie auf Mike warten können und hätte die Zeit mit Jonas, Susanne und Sophie zusätzlich. Und vor allem könnte sie offiziell mit Renaud ermitteln. Sie bemühte sich um eine nicht zu
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