Die dem Mond ins Netz gegangen - Lene Beckers zweiter Fall (Lene Becker ermittelt) (German Edition)
jetzt nicht mehr da ist …« Er zögerte leicht. »Also er meint, ich soll dann lieber hier draußen den Caravan bewachen. Ich werde deshalb hier die Nacht verbringen. Ach so, und ob Sie ihn bitte später noch anrufen würden, ob Sie etwas gefunden haben.«
Lene lächelte den ve rwirrten jungen Mann an. Was hatte man ihm von der deutschen Kommissarin wohl erzählt, dass er so verunsichert war?
» Da haben Sie aber Glück, dass es heute Nacht so warm ist und keine von den feuchten Nächten, die hier auf dem Campingplatz ziemlich durchdringend unangenehm sind. Aber der Vollmond sorgt für eine klare, trockene Nacht. Ich mache hier weiter und sage Ihnen Bescheid, wenn ich Sie brauche.«
Er zog s ich dann auch gleich mit einem »Ich bin dann hier draußen« zurück.
Lene machte sich an die Arbeit. Systematisch und minutiös ging sie alle mögl ichen Verstecke im Caravan durch. Nach dreißig Minuten setzte sie sich enttäuscht auf das Bett. Nichts. Nun konnte sie nur noch hoffen, dass die Spurensicherung doch mehr Schmuck mitgenommen hatte, als sie annahm und irgendwie auch die Gürtelspange dabei war. Morgen lässt sie sich sicher auffinden. Hoffentlich, beruhigte sie sich.
Wieso ist der Mord nur gerade am 14. Juli geschehen?
Plötzlich hatte sie Georges Brassens im Ohr, wie er aus Trotz an dem Tag in seinem Bett bleibt. Sein Lied vom 14. Juli:
Le jour du quatorze juillet je reste dans mon lit …
Ach Brigitte, wärst du doch auch nur am 14. Juli in deinem Bett geblieben wie er! Trotz oder wegen des Nationalfeiertags. Egal.
In dem Moment fiel Lene ein, dass sie zwischen den Romanen ein sehr viel dü nneres Buch gesehen und nicht weiter beachtet hatte. Dass es sie aber an etwas erinnerte und jetzt ein Signal in ihrem Kopf auslöste. Sie ging hinüber und zog das unscheinbare blaue, dünne Buch mit der chinesischen Bindung der 80er-Jahre heraus. Dass es die immer noch gibt, amüsierte sie sich. Bei ihnen waren diese chinesischen Büchlein Tagebücher gewesen.
Tagebücher? Vielleicht dies auch? Ein Adrenalinschub schoss durch ihren Körper. Sie öffnete das Buch und blick te auf handgeschriebene Seiten. Eine große, klare Handschrift. An einer willkürlichen Stelle las sie.
Es war wirklich ein toller Abend. Philippe war besonders lustig heute und hatte die ganze Zeit die Augen bei mir. Schade, dass bei mir nichts passiert, wenn er mich so ansieht.
Wirklich ein Tagebuch! Sie ließ sich auf die Bank fallen. Das war ein Glück sfall ohnegleichen. Und es würde ihr und ihnen allen sicher sehr weiterhelfen. Ein Einblick in die Gedanken und Gefühle des Opfers – sie konnte es kaum glauben. Sie blätterte zurück zur ersten Seite. Im sanften Licht der Lampe über dem Tisch ließen sich die Buchstaben, die in einer noch fast ungestümen Schrift niedergeschrieben waren, deutlich lesbar entziffern.
12. Mai
Herrlicher Sonnenschein. Gerade angekommen. Michael hat wirklich seinen Woh nwagen hier auf den Platz stellen lassen. Mein Ferienhaus für diesen Sommer, in dem ich so viel lernen möchte.
Also ein Michael hatte ihr den Caravan geliehen. Lene las weiter. Vom Sommer einer jungen Frau, die oft noch an ein Mädchen erinnerte. Ein Mädchen, das besonders seinem Vater gefallen wollte, seine Anerkennung suchte. Auf dessen Gebiet. Immer wieder schrieb Brigitte von Antiquitäten, die sie gesehen und taxiert hatte. In den Stöberläden, vollgestopft mit alten Möbeln, den Brocantes, war sie ständig auf der Suche. In Pézenas, in Béziers, in Narbonne. Taxierte und beschrieb. Erfüllt von dieser Suche.
Dann tauchte ein Mann auf. Aber enttäuscht stellte Lene beim Lesen fest, dass die Erlebnisse immer, wenn es um IHN ging, verschlüsselt w aren. ER war groß geschrieben und Brigitte hatte nicht ein einziges Mal seinen Namen erwähnt.
Wieso nicht? Das war wichtig für Renaud. War ER verheiratet? Sonst eine irgendwie bekannte Persönlichkeit, deren Liaison mit Brigitte nicht bekannt werden durfte? Häufig kamen auch Medienstars hierher, sogar Priester bis hinauf zum Vatikan wurde gemunkelt. Brigitte schrieb immer nur, dass sie sich gesehen hatten. Wohl auch miteinander geschlafen, da man ihre Beschreibung von hinterher in seinen Armen so auffassen musste. Aber es fehlte jede Beschreibung des Mannes, jeder Hinweis auf sein Alter, seine Nationalität. Sie schrieb auch über Florence, Marie und Philippe. Und später über Jean-Pierre.
Wann war das? Sie mus ste sich das Datum merken. Ach ja, der 20. Juni.
Ab da änderte
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