Die dem Mond ins Netz gegangen - Lene Beckers zweiter Fall (Lene Becker ermittelt) (German Edition)
des Fremdseins, der Trauer. Das passierte ihr immer wieder, trotz all der Jahre in ihrem Beruf, dass sie die Opfer eines Verbrechens plötzlich als Menschen sah, die ihr Leben gerade eben noch gelebt hatten. Sie dachte an ihre Hoffnungen, ihre kleinen alltäglichen Verrichtungen, ihre Gefühle. All das war plötzlich zu Ende, ausgelöscht. Darum trauerte ein Teil in ihr. Sie fühlte Brigitte - wie es war, wenn sie hierher nach Hause kam. Zögerte kurz. Aber nur kurz. Das hier war ihre Arbeit.
Sie sah sich im Vorzelt um. Rechts ein kleiner Gaskocher, immerhin zweiflammig, ein Küchentisch, durchsichtige groß e Boxen, wie Lene sie auch besaß, in denen sie ihre Vorräte hatte. Ein alter Campingtisch mit Resopalplatte mit allerlei Küchenutensilien, ein Regal mit Tassen und Tellern, die sie erst sah, als sie den Vorhang davor zur Seite schob. Hier würde sie erst später suchen. Wie Brigitte wohl an diesen Caravan gekommen war? Eventuell von einer Freundin oder einem Freund geliehen? Oder war es ihr eigener?
Auf der linken Seite eine kleine Sitzecke mit zwei verstellbaren Hochlehnergartenstühlen, dazwischen ein kleiner, runder Bambustisch. Eine Lampe daneben und auf dem Tisch eine Glaskugel mit einer Kerze darin. Hübsch sah es hier aus, wohnlich.
Dann ritzte sie das noch unverletzte Polizeisiegel auf und öffnete die Tür. Ging die zwei Stufen hoch in den Innenraum und ließ ihn erst einmal auf sich wirken.
Links das breite Bett, g egenüber eine Bank mit losen Polstern um einen Tisch, den man auch für ein einmeterzwanzig großes Bett umbauen konnte. Ein bisschen wie bei mir, dachte sie, nur kleiner. Gegenüber der Tür ein integrierter Schrank, daneben offensichtlich das Minibadezimmer. Links neben der Tür die Küchenkonsole, ein abgedecktes Spülbecken, darüber noch ein Hängeschrank für Geschirr, unter der Konsole der Kühlschrank und ein Stauraum für Töpfe. Hinten über dem Bett noch einmal Schränke, daneben ein Regal, offenbar genutzt für Krimskrams. Oben über der Sitzbank um den Tisch herum ein Regal mit Büchern. Lene sah die Buchrücken als erstes durch. Historische Romane, aber auch ein Buch über Antiquitäten aus Frankreich, hochwertige Farbfotos. Dann ein Buch über Meditation und Bewusstseinserweiterung. Marion Melzer stand auf dem inneren Abdeckblatt. Ein Buch über den Dalai Lama , ebenfalls von Marion, genau wie das dritte, das sich mit dem Leben nach dem Tode beschäftigte. Sie öffnete es und erkannte, dass es auch ein Kapitel über Karma und Reinkarnation enthielt. Und ein Buch in französischer Sprache über die Katharer. Lene zog es heraus und legte es auf den Tisch. Das wollte sie mitnehmen und später lesen.
Interessant, was Brigitte gelesen hatte. Die Bücher spiegelten eine Neugier aufs Leben, eine Bereitschaft, sich mit tieferen Fragestellungen auseinanderzusetzen. In Lene wieder tiefes Bedauern und Mitgefühl mit Marion und Ferdinand.
Aber jetzt musste sie sich konzentrieren. Sie hatte inzwischen ihre dünnen Schutzhandschuhe, die sie immer in einer Seitentasche ihrer Handtasche bei sich hatte, angezogen, schloss die Caravantür von innen und begann mit dem Krimskramsregal über dem Bett.
Wie sie vermutet hatte, Modeschmuck. Ihr Herz klopfte vor Erwartung. Aber enttäuscht sah sie s chnell, dass eine Gürtelspange nicht darunter war. Eine zauberhafte Kette in Türkis, eine gröbere, eindrucksvolle in intensivem Gelb. Indische Armreifen, mehrere dünne, wie sie vor zwei Jahren so in gewesen waren, ein gelber Armreif, der zu der Kette passte. Ohrringe, groß und ausdrucksvoll ebenso wie lange Hänger. Zwar Modeschmuck, aber mit Geschmack ausgesucht. Auch Lene hatte nur Modeschmuck eingepackt für ihren Campingurlaub. Das Wohnen in einem Caravan machte einem eben deutlich, wie sehr man auf die Ehrlichkeit - und die Friedfertigkeit, dachte sie – der Miturlauber angewiesen war. Eine Tür bot nicht wirklich Schutz.
Plötzlich hörte sie hinter sich ein Geräusch und schrak unwillkürlich zusammen. Mist, Waffe habe ich natü rlich keine, dachte sie und sah sich blitzschnell nach einem Ersatz um. Nichts. Die Tür öffnete sich und Lene hielt die Luft an, zum Sprung bereit. Da schob sich der Kopf eines Mannes durch die Tür.
» Entschuldigen Sie bitte.« Erleichtert stellte Lene fest, dass sich das nicht nach einem Überfall anhörte. Dann kam eine Hand mit einer Polizeimarke. Dann ein junger Polizist, der sich vorstellte.
» Der Kommissar schickt mich. Weil das Siegel doch
Weitere Kostenlose Bücher