Die dem Mond ins Netz gegangen - Lene Beckers zweiter Fall (Lene Becker ermittelt) (German Edition)
sich ihr Stil. Brigitte spürte schnell, dass sie bei diesem Jean-Pierre ein Gefühl empfand, das sie vorher in dieser Intensität nicht gekannt hatte. Es verwirrte sie. Aber als sie es dann zuließ …
23. Juni
Ich habe IHM heute gesagt, dass es vorbei ist. Ich hätte mich verliebt, so sehr, dass niemand anderer da mehr Platz hätte. Sein Gesichtsausdruck war schrecklich. ER sah mich plötzlich mit ganz harten Augen an. Dann beschimpfte ER mich. Widerlich. Dass ER in mir sowieso nur die Hure gesehen hätte. Ich war völlig erstarrt. Habe IHN nur noch gebeten zu gehen. Sofort. Sonst würde ich aller Welt erzählen … Weiter kam ich nicht. Er schlug mir ins Gesicht und ging.
Schrecklich. Was habe ich nur in ihm gesehen? Wie konnte ich mich in einem Me nschen so täuschen? Ich hatte immer gedacht, dass er mich liebt, zumindest verliebt ist. Und ich mochte ihn auch. Aber damit ist jetzt Schluss. Und ein Gutes hat der Auftritt – es fällt mir leichter mich zu lösen und konsequent zu sein. Ach, Jean-Pierre. Ich wollte, du wärst hier und nicht in deiner Pizzeria, wo ich dich ja nicht jeden Abend treffen kann.
27. Juni morgens
Ein herrlicher Tag.
Jean-Pierre hat frei und wir fahren alle fünf nach Montségur!!! Ich hoffe auf einen Moment mit ihm allein. Vielleicht will er jetzt? Heute?
27. Juni abends
Wer bist du, Brigitte? Das seltsamste, aufwühlendste E rlebnis meines Lebens.
Es war eine fröhliche Fahrt. Bis wir auf der Höhe von Carcassonne alle ernster wurden. Jean-Pierre erzählte uns von den Katharern. Von ihrem Leben, ihren Aufgaben. Vom Kreuzzug des Papstes Innozenz gegen sie, von dem brennenden Béziers, niedergebrannt um die Katharer zu vernichten. Und von Montségur, der letzten Festung, in der sich die verbliebenen Katharer und vor allem alle noch lebenden Perfecti verschanzt hatten. Wie die Katharer damals um das Leben vor allem ihrer Anführer gebangt hätten, wohl wissend, dass mit ihnen auch ihr Glaube, ihre Überzeugung und ihr Wissen untergehen würden. Zehn Monate haben sie dort ausgehalten, bis die Festung erstürmt und zerstört wurde. Und alle Katharer getötet wurden.
Eine spürbare Traurigkeit ergriff uns. Als wir hinauf zur Festung stiegen, waren wir alle in unsere eigenen Gedanken vertieft. Es war wie eine Pilgerwanderung. Jeder auf seinem eigenen inneren Weg. Ganz nach oben zu den Ruinen der Burg der Katharer, die sich blendend gegen einen leuchtend blauen Himmel abhoben.
Und dann passierte plötzlich etwas Seltsames mit mir. Es war , als würde etwas mit mir geschehen. Meine Arme und Beine kribbelten und ich hatte nur das Bedürfnis allein zu sein. Ich entfernte mich von den anderen, sogar von Jean-Pierre, stromerte durch die alte Stätte. Ich war in einem eigenartigen Zustand. Ziellos und zielstrebig zugleich ließ ich mich treiben. Dabei strich meine Hand immer entlang der Mauerreste. An einer Ausbuchtung blieb ich stehen. Es musste früher Teil eines Turmes oder ein Turmzimmer gewesen sein. Ich beugte mich über die Mauerkante und plötzlich glitt meine Hand wie von selbst in eine Mauerspalte. Als ob sie wüsste, was sie da tat. Aber ich hatte keine Ahnung, was, sah mir praktisch dabei zu. Meine Hand tastete weiter, dann drehte sie sich in der Spalte und fühlte nach schräg oben. Und ich spürte etwas Metallenes. Aufgeregt versuchte ich es herauszuziehen, aber das gelang mir erst nach ziemlicher Anstrengung. Einmal erschrak ich noch schrecklich, weil mir irgendein kleines Tier über die Hand kroch. Ich ließ jedoch nicht los. Und dann konnte ich das Ding herausziehen – plötzlich ganz leicht.“
Die Gürtelspange . Lene hatte beim Lesen den Atem angehalten. Da kommt eine junge Frau aus Deutschland und findet nach mehr als 750 Jahren mal eben ein antikes Schmuckstück, noch dazu auf diese abenteuerliche Art. Unglaublich – und doch in der Schlichtheit dieses Tagebucheintrags absolut glaubwürdig.
Sie las weiter. Erfuhr, wie Brigitte Jean Piere nach langem Zögern ei nweihte. Dass der einen Freund hatte, der sich mit der Taxierung von Kunstgegenständen auskannte. Ihre eigenen Zweifel – ob es vielleicht nur von irgendeiner Touristin dort hinterlassen worden war. Brigitte, die den Schmuck immer bei sich tragen wollte – und an der FKK Realität des Platzes scheiterte. Überall nach einem Versteck suchte, bis sie es endlich gefunden hatte.
Da oben findet es bestimmt niemand. Ich habe es mit soviel silbernem Klebeband fixiert, wie es nur möglich war, ohne dass der
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