Die dem Mond ins Netz gegangen - Lene Beckers zweiter Fall (Lene Becker ermittelt) (German Edition)
Vielleicht sollte es mehr Priester geben wie ihn …
Sie verabschiedeten sich dankbar. Solche Alibizeugen waren einfach Gold wert.
Renaud hielt ihr schwungvoll die Tür auf.
» Das war’s. Jetzt ist mir schon wohler. Der Priester kann es nicht gewesen sein. Weißt du was, wir fahren jetzt nach Hause. Mir langt es. Der Erzbischof von Toulouse wird sonst noch mein Schreckgespenst. Und das hat der Mann sicher nicht verdient.«
Auch Lene atmete auf. Es gibt Eis en, die zu heiß und zu absurd sind um sich daran zu verbrennen.
Auf der Rückfahrt waren beide schweigsam und verarbeiteten die Ei ndrücke.
» Wir machen eben weiter mit den Befragungen auf dem Campingplatz. Hast du übrigens ein Foto von Brigitte? Vielleicht von ihren Eltern bekommen?«, unterbrach Lene nach einiger Zeit die Stille. Die Idee war ihr in diesem Augenblick gekommen. »Wir können doch auch in den Discos im Camp nachfragen. Vielleicht ist sie mit IHM einmal in einer dort gewesen? Bei all der Geheimnistuerei nicht sehr wahrscheinlich, aber damals war es noch Vorsaison. Vielleicht – wenn sie dort war, erinnert man sich eventuell. Sie war ja ein toll aussehendes Mädchen.«
» Eine gute Eingebung. Danke, Docteur Watson .«
Lene hörte die französ ische Aussprache und es dauerte zwei Sekunden, bis sie das in Englische transferiert hatte. Dann musste sie lachen.
Luc sah kurz zu ihr hi nüber.
» Fragst du die Eltern nach einem Foto? Dann versuchen wir es heute Nacht einmal in den Discos.«
Ein mutwilliges Grinsen erschien auf seinem Gesicht. »Und zieh dich sexy an.«
» Mach ich, Holmes .« Holmes in perfekter Oxford Aussprache.
Schweigend fuhren sie durch die südfranzösische Landschaft. Sonnenblumenfelder, Weinanbaugebiete. Ab und zu tauchten bekannte Namen auf. Auf der rec hten Seite begann sich eine Wolkenbank aufzutürmen. Ob es heute eine Wetterverschlechterung gab? Das passierte oft nach dem Vollmond.
Lene ließ den Tag noch einmal an sich vorbeiziehen. Die Begegnung mit dem Priester. Den Vertrauen sbruch gegenüber Jean-Pierre. Inzwischen war sie überzeugt, dass dieser Pater seine Liebe war. Wie könnte sie das nur bestätigt bekommen? War das nun Neugierde oder hatte es mit dem Fall zu tun? Manchmal überschnitt sich das in den Ermittlungen. Dann kehrten ihre Gedanken zu dem Gespräch zurück. Wieder sah sie ihn in der Sakristei, sah sein ernstes Gesicht, seine feinen, langgliedrigen Hände. Wie ist er wohl mit der Liebe Jean-Pierres und den Folgen, seiner Entscheidung gegen das Priesterwerden, umgegangen? Weiß er, dass er die Ursache war? Sie sah wieder das Licht hereinfallen, Reflexe auf den warmroten Teppich werfen.
» Wieso hat er uns sofort den Verrat des Geheimnisses an den Bischof eingestanden? Ich versteh das nicht.«
Lucs Hände fassten das Lenkrad fester.
»Ich auch nicht. Und ich wollte, er hätte dieses Detail für sich behalten. So was Blödes, er musste doch wissen, dass wir bei dem immensen Wert und dem sicher vorhandenen Interesse der Kirche daran das Schmuckstück zu bekommen, ganz schön ins Schleudern kommen. Ich frage mich inzwischen, ob er das beabsichtigt hat. Doch Jesuit? Für klug genug halte ich ihn.«
» Zumindest wissen wir jetzt, dass diese Gürtelspange sehr viel wert sein kann, weil sie so ein seltenes Objekt ist. Nur – wir haben immer noch keinen Hinweis, ob sie der Grund für den Mord ist oder ob es doch ein anderes Motiv gibt. Wir hängen immer noch mit der Vergewaltigung fest. Ist beides derselbe Täter oder gibt es zwei, einen Vergewaltiger und einen Mörder? Immer wieder dieselbe Fragen.«
Renaud bog noch einmal ab auf einen Rastplatz und im Licht der Nachmittagssonne lag Carcassonne jetzt unter ihnen. Die riesige Burganlage schimmerte in der flirrenden Hitze, es war, als würden Lichtwellen die Mauern lebendig machen. Die Wolken hatten sich wieder aufgelöst. Schönes, geheimnisvolles Carcassonne.
Zurück und i n der Stadt angekommen, fuhren sie zuerst zur Bank. Dort mietete Lene ein Schließfach.
» Für wie lange, Madame?«, fragte sie der Bankangestellte. »Für die Zeit meines Aufenthaltes hier. Ein paar Wochen.«
Dann ließ sie in d em Kellerraum die Gürtelspange nicht ohne Bedauern in die Schale des Schließfachs gleiten. Der Angestellte hatte sich diskret mit dem Rücken zu ihr gedreht. Sie schloss die Tür, drehte den Schlüssel herum. Schließfach 113.
Eigentlich sollte ich doch jetzt erleichtert sein, dass ich die Verantwortung los bin. Aber irgendwie … Sie
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