Die dem Mond ins Netz gegangen - Lene Beckers zweiter Fall (Lene Becker ermittelt) (German Edition)
Jean-Pierre! Was hatte Marie ihr nur sagen wollen, dass sie zweimal gekommen war. Mist.
Sie fuhr zu Marcel, der sie – der Wichtigkeit seiner Aussage bewusst – gleich in s ein Vorzelt bat. Elsa kam dazu und Lene ließ sich in ihre liebevolle Umarmung ziehen. Sie war in ihrer flämischen Rundlichkeit immer die Fröhlichkeit und Wärme in Person. Gegen jeden Widerspruch holte sie Saft aus selbst gesammelten Beeren und strahlte Lene erwartungsvoll an.
» Auch wenn der Anlass traurig ist, freue ich mich über deinen Besuch. Du musst öfter kommen, Lene.«
Marcel hingegen, lang und hager und ebenso von Kopf bis Fuß braun gebrannt wie seine Frau, der sonst immer zu einem Scherz aufgelegt war, brummte nur: »Jetzt nicht, Elsa« und kam zur Sache.
» Also wie ich schon Gilbert erzählt habe …«, berichtete er ihr noch einmal den Vorfall am Strand. Aber er konnte ihr bei der Personenbeschreibung einfach nicht weiterhelfen. »Obwohl, irgendwas Vertrautes war da; als ob ich ihn schon einmal gesehen hätte.«
» Sobald dir etwas noch so Winziges an Detail einfällt, meldest du dich bei mir, ja? Vielleicht fällt dir der Name des Mannes sogar noch ein, beziehungsweise welche Assoziation du hattest. Wir brauchen diesen Mann so dringend!«
Wieder z urück ließ sie sich mit ihrem Notizblock in ihren Sessel fallen, legte die Beine hoch und begann ihre Eindrücke des Tages aufzuschreiben. Wie konnten sie nur weitermachen? Dann dachte sie an Irene, wie sie vor dem mit blau-weißem Polizeiband abgesperrten Platz ihrer Schwester gestanden hatte.
» Wäre ich nur eher hierher gekommen und bei ihr gewesen, dann wäre das nicht passiert!«
Le jour du quatorze juillet klang es plötzlich wieder in ihr. George Brassens, der zwanzig Kilometer von hier gelebt hatte und sie, Lene, die seit fünfzehn Jahren sein Fan gewesen war, hatte das erst kurz nach seinem Tod erfahren. Bedauern.
Dann war da wieder Ir enes Stimme. Sie hatte erzählt, dass sie eigentlich vor hatte, direkt nach dem Abi hierherzukommen, aber dann zu Marions Geburtstag am 20. Juli noch zu Hause sein wollte und deshalb das Flugticket für den 22. besorgt hatte. Jetzt machte sie sich Vorwürfe, dass sie doch sonst bei Brigitte gewesen wäre. Am 14. Dann wäre nichts passiert. Lene versuchte zu trösten, aber ihre Worte kamen ihr selbst nicht ausreichend vor. Dagegen standen die Fakten. Sie hätte dieselben Gedanken gehabt.
Sie war jetzt so müde, dass ihr die Augen ständig zufielen. Schließlich lehnte sie sich zurück, gab sich nach.
In der unruhigen Leichtigkeit ihres Schlafes sah sie in einem wirren Traum Jean-Pierre vor der Kirche in Toulouse. Die Tränen liefen sein Gesicht herab, tiefe Traurigkeit. Dann rannte Marie auf sie zu, aber immer, wenn sie sie fassen wollte, auffangen, rannte sie an Lene vorbei. Sie trug ein rot-weiß-blau-gestreiftes Kleid, breite Streifen, wie aus der französischen Fahne geschneidert. Einmal, als sie schon wieder an ihr vorbei war, drehte sie sich um, sah Lene an, auf eine so intensive Art, als ob sie etwas sagen wollte. Lene versuchte verzweifelt sie zu verstehen und schreckte davon auf.
Ihr Herz klopfte, die Abendsonne war um den Pavillon gewandert und schien ihr ins Gesicht. Es war einer der Tage, an denen es zum Abend hin immer heißer wurde. Schweißperlen hatten sich auf ihrer Stirn gebildet, ihr Haar klebte an ihrem Kopf und dem Hals.
Lene ließ den Traum noch zu, dachte darüber nach. Waren das jetzt ihre Geda nken oder wollte der Traum, aus ihrem Unterbewussten kommend, ihr etwas sagen. Sie rief sich alle Bilder zurück. Das Fahnenkleid erinnerte sie an etwas. An was nur? Und warum lief Marie immer an ihr vorbei? Waren das ihrer beider vergebliche Versuche sich zu begegnen?
Sie bes chloss, dass sie mit Sophie, Jonas und Susanne hinüberfahren würden in die Pizzeria von Jean-Pierre. Und vorher würde sie noch einmal bei Marie und den anderen nachsehen.
Große Katzenaugen sahen sie auffordernd an. Es war Essenszeit, hatte der wilde Kater beschlossen. Als sein Blick dem von Lene begegnete, drehte er sich um und ging zu seinem Futterplatz unter dem Caravan.
Lene lächelte, diese r Kater begleitete sie nun schon seit drei Jahren. Als er das erste Mal lautstark unter dem Wohnwagen hervorlugend sein Essen forderte, war er gerade drei Monate alt gewesen. Und jedes Jahr kam er wieder. Einmal hatte Lene in der ersten Nacht hier sogar eine Art Aufjuchzen von ihm gehört, mitten in der Nacht unter Lenes Schlaffenster, als er
Weitere Kostenlose Bücher