Die dem Mond ins Netz gegangen - Lene Beckers zweiter Fall (Lene Becker ermittelt) (German Edition)
offenbar den Wohnwagen erkannte hatte.
Sie holte das Katzenfutter und stellte es Balzac , wie sie ihn getauft hatte, hin. Lautes Schnurren und ein hingebungsvoller Blick belohnten sie, dann warf er sich geradezu auf seine Schale. Heißhungrig.
Lene griff nach ihrem Badetuch und ging zum Duschen. Die Alteingesess enen konnten sich von diesen Dinosaurierduschen aus den Sechzigern nicht trennen, jedes Jahr kämpften sie wieder um deren Erhalt. Dabei war das Wasser, das aus dem sogar nachts ächzenden Aufheizkessel kam, oft zu kalt oder dann wieder zu heiß. Die Spiegel hatten auch schon mal blinde Flecken, die Waschbecken waren sehr einfach. Ganz anders als die mit Mosaikarbeiten gestalteten Nasszellen in den anderen Alleen, den Touristenalleen eben. Früher hatte man hier bei den offenen Kabinen Schlange gestanden, sinnend dem sich gerade Duschenden zugesehen, still auf die kleinen Mädchen geschimpft, die eine Kabine hingebungsvoll auch schon bis zu fünfzehn Minuten belegten und dabei ohne jedes Interesse auf die Wartenden schauten. Aber niemand kam auf die Idee, ein kleines Mädchen zum Abbruch dieser wichtigsten Handlung des Tages zu bringen. Man wartete tolerant und freundlich. Auch nach dem dritten Mal Haare waschen. Inzwischen gab es keine Menschenschlangen mehr, die Duschen waren jetzt den ganzen Tag durchgehend geöffnet – und es gab einfach mehr davon. Die neuen Duschen hatten zwar auch keine Türen, waren dennoch blickgeschützt. Aber nie waren sie so gemütlich antiquiert wie dieses Fossil.
Das warme Wasser rann über Lenes Körper, aus ihrem Haar , und sie fühlte sich wie die kleinen Mädchen damals. Hätte endlos unter ihrem Element stehen bleiben können, nichts als sie und das Fließen des Wassers. Ab und zu kamen Bekannte, sagten Hallo auf Französisch oder Deutsch oder Hola auf Spanisch. Aber nichts unterbrach dieses Bei-sich-sein wirklich.
Als sie gerade in ihr B adetuch gewickelt herauskam, begegnete sie Jonas und Susanne. Beide leuchteten geradezu von ihrem Nachmittag am Strand, die Augen blitzten aus rotbraunen Gesichtern.
» Wir duschen schnell und kommen dann zu dir«, riefen sie ihr zu.
Als sie später alle wieder bei einem Drink zusammen saßen, nahmen sie begeistert Lenes Vorschlag Pizzaessen zu gehen auf. Lene erzählte von Toulouse, von dem beeindruckenden Pater. Der Krankenschwester.
» Wisst ihr, später habe ich mich berichtigt. Bei Soeur Hélène schimmerte bei all der Effizienz nachher doch auch ihr Herz durch, als sie von Frère Gustave und seinem Leiden sprach.«
Die Pizzeria lag in einem verborgenen Winkel des Nachbarortes. Sie hatten eigentlich mit den Rädern fahren wollen, das wäre kürzer gewesen als der lange Umweg mit dem Auto. Aber Sophie hatte immer noch kein Licht an ihrem Fahrrad . Der Parkplatz war überfüllt und die Suche nach einem Platz nervig, aber schließlich fanden sie einen im letzten Winkel.
Sie schlenderten durch die ungewöhnlich warme Nacht. Lene erwischte sich immer wieder dabei, dass sie nach Marie Ausschau hielt. Sie war sich sicher , sie würden sie bei Jean-Pierre finden. Als sie die Pizzeria betraten, schaute sie sich deshalb sofort nach ihr um und war sehr enttäuscht, sie nicht zu finden. Jean-Pierre kam ihnen entgegen, mit einem so offenem Lächeln, dass man seine Freude sie alle zu sehen erkennen konnte. Er fand sogar einen Tisch am Fenster für sie und brachte die Karte selbst zu ihnen. Als Lene ihn nach den anderen fragte und ihm sagte, dass Marie sie gesucht hätte, wurde er ernst.
» Nein, ich weiß nicht, was sie Ihnen sagen wollte. Sie sind alle drei heute Nachmittag irgendwohin gefahren, ich glaube nach Montpellier. Irgendetwas holen. Ja genau. Sie wollten kurz bei Florence und Philippe zu Hause vorbei und dann noch in die Stadt. Sie kommen sicher erst spät wieder. Und – waren Sie heute in Toulouse?«
Lene spürte, dass ihn diese Frage einen inneren A nlauf kostete. Leichtes Zittern seiner Hände.
» Ja«, erlöste sie ihn von seiner Spannung, »wir sind bei Ihrem Freund gewesen.«
Sie beobachtete ihn bei dieser bewussten Formulierung genau und sah, wie eine leichte Röte in sein sonst so offenes Gesicht stieg. Erwischt, dachte sie. Armer Jean-Pierre. So eine hoffnungslose Liebe.
» Er ist ein sehr charismatischer Mann. Und er meint, dass das Stück echt und sehr wertvoll ist. Besonders durch den Wert, den es für Sammler hat. Es war gut, dass wir dort waren.«
» Hatten Sie es denn dabei?« Jean-Pierre wurde jetzt ganz
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