Die dem Mond ins Netz gegangen - Lene Beckers zweiter Fall (Lene Becker ermittelt) (German Edition)
ihr zu. »Vielleicht hat er sich ja doch verliebt – bei Brigitte im Tagebuch klang das durch. Aber was ebenso seltsam ist, ist, dass keines der Mädchen sich in Philippe verliebt hat. Er sieht doch wirklich gut aus. Nein, beide – denn ich bin überzeugt, dass das auch für Marie gilt – verlieben sich in Jean-Pierre. Den Geheimnisvollen. Unerreichbaren. Wir Frauen sind schon manchmal mehr als dämlich. Ohne jede Antenne.«
Sophie dachte an ihren Exfreund Eric und gab ihr Recht. Instinktlos war sie da gewesen. Einfach blöde, schimpfte sie sich selbst.
» Offenbar reizt uns eben immer das nicht so leicht Erreichbare. Und dann wundern wir uns, wenn wir es wirklich nicht erreichen. Meinst du, sie haben etwas gewusst – ich meine, mehr als sie gesagt haben?«, fragte Sophie.
» Von der Gürtelspange offensichtlich nicht. Und der Mann, den Marie erwähnt hat – ich glaube, sie wussten längst, dass Marie sich manchmal wichtig machen wollte, vielleicht auch übertrieb, damit man sie wahrnahm. Und darunter hatten sie es wohl unbewusst abgespeichert. Sie konnten sich nicht vorstellen, dass Brigitte so etwas Wichtiges wie eine Liaison vor ihnen verbarg. Sie sind beide so offen, so direkt. Deshalb war das für sie absolut nicht naheliegend.«
Der Sand wirbelte im Wind durch die Luft – kein Wetter zum Sonnenbaden. Zumindest Klappliegen waren heute nötig, Sonnenschirme hatten keine Chance, wodurch die trockene Hitze, die den ganzen Körper zu stauen schien und gleichzeitig unruhig machte, noch unangenehmer wurde. Wie erwartet war der Strand fast menschenleer. Nur ab und zu sahen sie einige Unentwegte, die den Sand an ihrem Rücken oder an den Strandmuscheln aus Zeltstoff abprallen ließen. Der Abschnitt, in dem Marie in den Dünen gefunden worden war, war noch bis zum Wasser hinunter abgesperrt. Vier Männer suchten weiterhin im Sand nach Spuren. Aber morgens war die Strandreinigungsmaschine kurz vor dem Jogger, der sie gefunden hatte, über den Strand gefahren, hatte ihn sauber geharkt zurückgelassen. Inzwischen waren die Rillen, die er hinterlassen hatte, vom Wind zugeweht worden. Jede Spur außerhalb der Dünen war damit sowieso verloren.
Das Wasser des Meeres leuchtete noch intensiver grün als am Morgen, die weißen Schaumkronen waren zu Wellen geworden, das Meer schon zurückgewichen. Aus Erfahrung wusste sie, dass jetzt das von der Sonne erwärmte Oberflächenwasser wieder hinausgedrückt und durch das bis zu fünfzehn Grad kalte Meerwasser aus der Tiefe ersetzt würde. Schon im Voraus fröstelte es Lene, auch wenn sie immer eine der Ersten war, die sich wieder ins Wasser wagten. Soweit zum Mittelmeer im Sommer, dachte sie bedauernd. Jedes Jahr dasselbe Spiel. Wie sagte man hier? Andere Ferienorte in Frankreich haben den vin, den Wein, wir haben den vent, den Wind.
Sophie un d sie gingen unten am Rand des Wassers entlang. Das Meer war zurückgewichen, der Uferstreifen dadurch breiter als sonst. Als sie zur Absperrung kamen, entstand gerade Unruhe. Einer der Angehörigen des kriminaltechnischen Labors hatte etwas gesehen und näherte sich schnell einem kleinen Gegenstand, der im Strandboden sichtbar geworden war. Der, als die letzte Welle sich zurückgezogen hatte, im Sonnenlicht aufblitzte. Er griff zu und kam aufgeregt zurück. Lene ließ Sophie stehen und ging in das abgesperrte Gebiet. Der Techniker strahlte sie an, stolz ein Handy in der Hand haltend.
» Man muss auch mal Glück haben«, meinte er.
» Aber es hat im Wasser gelegen«, wandte Lene zweifelnd ein.
» Das kriegen unsere Spezialisten schon hin. Kommt drauf an, ob die Telefonlisten und SMS auf der Simkarte gespeichert sind. Für Fotos gilt das gleiche. Das Handy dürfte hin sein. Die Frage ist nur, ob es wirklich von dem Opfer ist. Aber wir werden auch das sehen. Dauert nur etwas.«
Er hatte schon sein eigenes Handy herausgezogen und rief offenbar Renaud an. Der wird ihn freuen, dachte Lene. Endlich eine Spur.
K apitel 22
Brigittes Stimme. Nur leicht verfremdet durch die digitale Technik klang sie aus Sophies Aufnahmegerät.
Ich heiße Louise. Ich bin siebzehn. Ich hüte die Schafe. Das gehört zur Ausbildung. Das Üben von Verantwortung für Lebewesen. Abends kuscheln sich zwei der Schafe immer an mich. Das hält mich warm und es ist ein gutes Gefühl, ihren Atem zu spüren. Meine Eltern haben mich zu der Perfecta gegeben. Ich vermisse sie aber.
Ein tiefer Atemzug. Eine französische Stimme in gebrochenem Deutsch. »Und dann?
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