Die dem Mond ins Netz gegangen - Lene Beckers zweiter Fall (Lene Becker ermittelt) (German Edition)
Gedanke, Lene, aber wer keine Gedanken wagt, kann keinen Fall lösen. Zumindest war es bei ihr so.
Was, wenn Jean-Pierre sich mit Brigitte nicht für den nächsten Tag sondern für später auf ihrem Campingplatz verabredet hatte? Heimlich – quasi an den anderen vorbei, vor ihnen im Camp war oder kurz nach ihnen? Als Fußgänger sich einer Gruppe angeschlossen hatte und so unauffällig mit hineingeschlüpft war? Dann um eins zu ihr kam und sie gebeten hatte ihm die Gürtelspange auszuhändigen, zum Beispiel um sie seinem Freund in Toulouse zu zeigen. Ihre Gedanken begannen zwischen der nächtlichen Szene und dem düster-erhabenen Kirchenschiff in Toulouse hin und her zu springen. Sie zwang sich zur Ruhe.
Das würde den Streit erklären, den Frank geflüstert mitbekommen ha tte. Lene sah die Szene jetzt vor ihrem inneren Auge entstehen.
Brigitte weigert sich, enttäuscht , als sie merkt, dass das der Grund seines Kommens war. Er wird wütend, weiß, die Gürtelspange muss da sein. Um sie doch noch zu bekommen, spielt er ihr Leidenschaft vor, die jedoch in einer Vergewaltigung endet, weil Brigitte ihm diese plötzliche Gefühlsaufwallung nicht mehr glaubt und sich wehrt. Ihr Kopf schlägt bei dem Kampf gegen den Schrank. Sie wird ohnmächtig. Er macht trotzdem weiter. Dann lässt er von ihr ab, geht raus aus dem Wohnwagen, da er aufgewühlt ist. Dann begreift er seine Chance. Geht zurück und durchsucht den Caravan nach dem Schmuckstück. Findet es nicht. Brigitte kommt zu sich und stöhnt leise.
Lene wischt e sich den Schweiß von der Stirn. Ihr Adrenalinspiegel war auf Hochtouren, ihr Herz pochte. Sie kam gerade bei Philippe und Florence vorbei. Alles dunkel. Sie waren ja bei der Tante, fiel ihr ein. Ein Blick auf die Uhr. Erst halb zwölf, aber diesmal war das Tor schon geschlossen. Nun war sie nur wenige Meter von dem Ort entfernt, an dem Marie gestern Nacht gestorben war. Eine leichte Gänsehaut bildete sich auf ihren Armen. Obwohl die Nacht warm war nach dem Mistral am Tage.
Jean-Pierre greift zu dem gelben Häkelpareo, der auf der Bank liegt und zieht ihn um den Hals, zieht zu, erst leicht, während er wartet, dass Brigitte zu sich kommt und ihm endlich sagt, wo der Schmuck ist. Aber sie bleibt in der Ohnmacht, er hat Angst, merkt nicht, dass er die Schlinge immer weiter zuzieht – oder wird wütend und zieht sie deshalb zu. Brigitte stirbt.
So könnte es gewesen sein.
Lene war inzwischen am Zaun weitergelaufen bis sie vorn wieder ans Meer kam. Dort setzte sie sich, sah auf die schwarze Fläche des Meeres. Sie verabscheute ihre eigene Vorstellung, aber es blieb eine plausible Möglichkeit. Und Marie? Da hatte er gestern auch genug Zeit. Hatte sie doch etwas mitbekommen von dem Inhalt des Flüsterns von Brigitte und Jean-Pierre, wusste um die spätere Verabredung zwischen ihnen? Immer wieder hatte sie gezögert. Sie hätte Jean-Pierre bestimmt nicht verraten wollen, ihn nicht. Auch nicht, wenn er ein Mörder war? Hatte sie es ihm gesagt? Und dann hatte es ihn in Panik versetzt, als er von Lene in der Pizzeria erfuhr, dass Marie ihr etwas mitteilen wollte?
Sie traute es Marie zu, dass sie ihn allein dort am Strand in der Dün e zur Rede gestellt hatte. Er brauchte zu Fuß nur knapp zwanzig Minuten von der Pizzeria über den Strand bis zum village. Nachdem er Marie getötet hatte, hätte er auch auf demselben Weg zurück gekonnt. In der Dunkelheit hätte ihn sicher niemand gesehen.
Und dann gab es noch andere Möglichkeiten.
Jean-Pierre hatte zum Beispiel das Geheimnis den anderen drei Freunden erzählt und die hatten einen Plan ausgeheckt, wie sie an das wertvolle Schmuckstück kommen könnten. Auch sie hatten jedes Mal die Möglichkeit. Dann wäre Philippe der Wolf im Schafspelz, aber die Handlung hätte ebenso ablaufen können. Als Marie reden wollte, lockten die beiden sie in die Dünen und töteten sie. Möglich, wenn auch nicht sehr wahrscheinlich.
Lene stand auf, spürte die Nachtwärme, der abnehmende Mond leuchtete über ihr und ging auf seine Hälfte zu. Sie drehte sich nachdenklich um und ging zurück. Morgen früh musste sie mit Luc sprechen. Auf jeden Fall brauchten sie die DNA von Philippe und Jean-Pierre. Und die hatten sie jetzt dank der Sperren am Ausgang. Was für ein Scheißberuf, stöhnte sie, in dem man selbst sympathischen Menschen so viel Gemeinheit unterstellen muss. Außerdem konnte sie sich den eher sanften, noch dazu schwulen Jean-Pierre nicht bei der Vergewaltigung einer
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