Die denkwürdige Geschichte der Kirschkernspuckerbande (German Edition)
Haar hatte sie meist ein dünnes, blaugrünes Tuch gebunden. Es war echt too much !
Was sie aber wirklich drauf hatte, war der geschickte Umgang mit asiatischen Duftölen. Ihr bevorzugter Duft war Amber, wenn ich mich richtig erinnere. Mmmmh! Sie trug dieses Konzentrat, mit denen ich ein paar Jahre zuvor noch kriminell großzügig umzugehen pflegte, in der exakt richtigen Dosis auf. Wow , hat diese Frau gut gerochen!
Ja, ich gebe es zu: So richtig war meine Faszination für Susann nie verschwunden. Seit dem legendären Baumhaus-Kuss umtänzelten wir uns unauffällig, und selbst nach Susanns ebenfalls legendären Ausbruch im Kino knisterte noch so etwas wie eine vage Ahnung von Spannung zwischen uns. Aber sie führte zu nichts. Wie sollte sie auch? Susann und ich waren so unterschiedlich wie zwei Menschen überhaupt nur sein können.
Ich war drei Wochen nach meinem achtzehnten Geburtstag ausgezogen. Nicht, dass ich ernsthafte Probleme mit meinen Eltern hatte, aber als Autonomer , wie ich mich mittlerweile schimpfte, musste ich nach allen Gesetzen der Logik auch autonom leben. Na ja, fast autonom: Ich zog in eine WG unten am Hafen. Direkt am Fischmarkt, wo es ziemlich nach totem Meeresgetier stank, aber dafür auch die Miete billig war. Ich hatte bei einem Konzert der damals in meinen Kreisen schwer angesagten Band Big Balls and the great white Idiot einen Typen namens Narc kennen gelernt. So nannte er sich zumindest selbst: Narc – als Kurzform von Narcotic Officer . Wir kamen am Tresen ins Gespräch: »Wo wohnste?«
»Such noch was Geiles.«
»Bei uns inne WG is noch ’n Zimmer leer.«
Noch in derselben Nacht schaute ich mir das Zimmer an, begrüßte Narcs Mitbewohner Det und Smash (ja, so nannten sie sich wirklich), die in der Küche saßen und sich stritten, wer zur Tankstellen gehen und neue Bierdosen holen müsse, und zog zwei Tage später ein.
Wir wohnten nur zusammen, gingen ansonsten, von gelegentlichen gemeinsamen Touren durchs Nachtleben mal abgesehen, aber ziemlich eigene Wege – denn während ich zwar mittlerweile gern mal an einer Wasserpfeife nuckelte oder auch mal zwei bis fünf Bier mehr trank, als gut für mich waren, schienen diese Jungs jeden Rekord in Sachen Hirnzellentötung brechen zu wollen. Sie kifften, koksten und soffen – und wenn sie ihre Eltern besuchten, dann vorwiegend, um Mama ein paar Schlaftabletten aus der Schublade zu klauen. Ich dagegen freute mich aufrichtig, wenn meine Mutti bei meinen Besuchen ihren einmaligen Schweinebraten mit Zwiebelsoße servierte – auch wenn ich das natürlich nicht zugab.
Meine Eltern hegten die Hoffnung, dass ich mich in einer ›Phase‹ befände und irgendwann zur Besinnung käme. Was blieb ihnen auch anderes übrig?
»Du könntest aus deiner WG aus- und in eine Geisterbahn einziehen«, schlug mein Vater zum Beispiel einmal grinsend vor und zupfte dabei an meiner dreifarbig getünchten Irokesenbürste. »Da bräuchtest du nicht mal Miete zahlen. Herrgott, die gäben dir sogar Geld, du wärst das gruseligste Ausstellungsstück!«
»Ermutige ihn nur«, zischte meine Mutter. »Das ist es doch, was er will! Provozieren! Er will nur provozieren!«
Ich grinste. Weil es ja offenkundig auch so gut klappte mit dem Provozieren.
»Ach komm schon!«, beschwichtigte mein Vater meine Mutter. »Du kennst Piet doch. Er ist zu smart, um völlig durchzudrehen.«
»Hmpf«, grunzte meiner Mutter. »Wenn er nicht durchdreht, tue ich es bald!« Aber dann lachte sie doch.
»Was macht eigentlich Sven?«, erkundigte sich mein Vater. »Ihr habt doch noch Kontakt?«
»Tatsächlich haben wir uns seit letzter Woche, als du mich das letzte Mal gefragt hast, nicht aus den Augen verloren«, musste ich über die ewig gleiche Frage meines Vaters lachen. Jede Woche das gleiche Spiel – aber ich spielte es gerne mit, da ich schließlich wusste, dass Sven meinem Vater – und mein Vater Sven – einiges bedeutete.
»Hat er endlich eine Freundin?«, mischte sich meine Mutter ein, deren Feingefühl in den letzten Jahren nicht zugenommen hatte.
»Nun lass ihn doch erst einmal erzählen!«, versuchte mein Vater sich einzumischen.
»Wieso? Ihn darf ich ja nicht fragen, deinen Herrn Sohn, also interessiere ich mich zwangsläufig für seine Freunde.«
Mein Beziehungsstand hatte seit Petras und Dilles Elternschaft noch mehr an Interesse für meine Mutter gewonnen. »Heinz«, rief sie oft in gespielter Verzweiflung, »wer weiß, wie vielfache Großeltern wir schon
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